Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
verräterische tap, tap, tap von Schwester Inez’ Absätzen erklingt, als sie aus ihrem Klassenzimmer den Flur hinunterkommt. »Gute Arbeit, Maura«, sagt sie.
Maura strahlt. »Sechs – das ist außergewöhnlich, nicht wahr? Das ist mächtig .«
»Allerdings«, räumt Schwester Inez ein. Doch dann sieht sie mit ihren Argusaugen mich an. »Haben Sie etwas gespürt, Miss Cahill?«
»Ja«, gebe ich zu. »Ich wollte aufstehen und zur Tür gehen … und gleichzeitig auch wieder nicht. Es war sehr merkwürdig.«
»Sie haben den Zwang gespürt, konnten ihm aber widerstehen.« Schwester Inez betrachtet mich wie einen Käfer unterm Mikroskop. »Das ist auch das letzte Mal passiert, als Maura Gedankenmagie bei Ihnen praktiziert hat, richtig?«
Ich nicke. Ich wage es nicht, meine Schwester anzublicken, aber ich merke, wie sie innerlich zusammenfällt.
»Nun. Sechs Objekte sind immer noch eine beeindruckende Leistung. Bisher hat keine andere Schülerin hier etwas Ähnliches vollbracht. Ich wünschte, es gäbe mehr von uns, die dazu fähig sind; es könnte uns sehr von Nutzen sein, wenn ein Krieg ausbricht.« Schwester Inez gesteht Maura ein schwaches Lächeln zu, aber ihr Blick schießt gleich wieder zu mir. »Wenn Miss Cahill auch eine Prüfung ablegen würde, könnte ich besser beurteilen, welche von euch beiden mächtiger ist.«
»Gedankenmagie ist aber nicht die einzige Art von Magie, die zählt«, erwidere ich.
Mauras Blick ist von Zorn erfüllt. Ich habe es schon oft erlebt, dass meine Schwester böse auf mich war, öfter als ich zählen kann. Sie hat sich mir gegenüber verächtlich, abweisend und eifersüchtig verhalten. Aber so wie jetzt hat sie mich noch nie angesehen.
Als würde sie mich hassen.
Ich will Mauras Leistungen gar nicht schmälern, wirklich nicht. Aber diese Besessenheit von der Gedankenmagie macht mir Angst. Warum ist Schwester Inez nur so darauf fixiert? Was hat sie vor?
Mich schaudert.
Kapitel 8
Um Mitternacht wartet Finn an der Gartenpforte auf mich, sein Umhang und Schopf sind mit Schnee bestäubt.
»Sieh mal einer an, du hier.« Er grinst mich schief an, nimmt meine Hand und verschränkt seine in Lederhandschuhen steckenden Finger mit meinen. Seine Stimme ist vergnügt, sein Gang beschwingt, trotz des trübseligen Wetters. »Du hast schon wieder deine Handschuhe vergessen.«
Ich traue mich nicht, ihm zu sagen, dass ich sie nicht vergessen habe. Ich habe sie absichtlich nicht mitgenommen, weil ich so wenig Stoff wie möglich zwischen uns haben will, wenn ich ihn berühre.
»Lass uns ins Gewächshaus gehen«, schlage ich vor. Der eisige Wind treibt mir die Flocken ins Gesicht, und zitternd kneife ich die Augen zusammen. Auf dem Weg durch den Garten versinken meine Stiefel zentimetertief im Schnee. Als wir bei dem achteckigen Glasgebäude ankommen, sind der Saum meines Umhangs und der meines Kleides mit Schnee bedeckt. Mit einem Zauber öffne ich die Tür. Ich würde gerne den Umhang ablegen, aber ich bin auch so schon anstößig genug gekleidet, ohne Mieder und Unterrock. Rilla ist gerade erst eingeschlafen, und ich hatte Angst, sie und ihre unendliche Neugier zu wecken.
Unter den Bodendielen zischt heißer Dampf in den Rohren, die Glaswände sind von der warmen Luft ganz beschlagen. In der Mitte des Raumes drängen sich reihenweise Farne und Schwester Evelyns preisgekrönte Orchideen. Weiter hinten stehen Zitronen- und Orangenbäume, die mit kleinen, leuchtenden Früchten gesprenkelt sind. Es riecht nach feuchter Erde und wachsenden grünen Dingen. Es ist wie eine Oase des Frühlings und der Hoffnung inmitten des trostlosen Neuengland-Winters.
Finn zieht mich an sich und drückt mir einen Kuss auf die kalten Lippen. Dann wirft er die Handschuhe auf einen Tisch und beugt sich zu einer roten Phalaenopsis hinunter, um sie näher zu betrachten. Ich spiele mit dem Stamm einer spindeldürren weißen Cattleya.
»Die ist wunderschön. Wie heißt sie?«, fragt Finn. Gärtnerei ist eines der wenigen Gebiete, in denen mein Wissen seines übertrifft.
Ich führe ihn den Gang hinunter. »Das hier sind Oncidium-Orchideen. Sie werden auch Tanzende Prinzessin genannt, weil die Blüten aussehen wie sich drehende Röcke. Und das hier sind Dendrobium-Orchideen. Die sind ein bisschen robuster als die anderen, weswegen ich Schwester Evelyn mit ihnen helfen darf.«
Finn umarmt mich von hinten. »Du bist sehr gerne hier draußen, oder?«
Oh ja. Es ist eine Erleichterung, den neugierigen Blicken und
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