Töchter des Windes: Roman (German Edition)
verstehen. Sie hat nur noch das Baby und ihre Arbeit im Kopf und hat schon immer alles verdrängt, was ihrer Konzentration im Wege stand. Aber du bist doch eine praktisch veranlagte Frau.«
»Allerdings«, stimmte sie ihm zu. »Allerdings. Aber ich fürchte, gleichzeitig habe ich ein bißchen von meinem Vater in mir.« Sie nahm Rogans Hand. »Weißt du, manche
Menschen haben, aus was für Gründen auch immer, einen schweren Start. Ein Teil von ihnen verbleibt in ihrem Elend, weil es das einfachste ist oder weil sie es gewohnt sind oder weil es ihnen vielleicht sogar gefällt. Ein anderer Teil schafft es relativ mühelos, mit ein bißchen Glück und indem er vielleicht zufällig zur richtigen Zeit gerade das Richtige tut, in eine halbwegs sichere, rechtschaffene Existenz. Und wieder ein anderer Teil, ein sehr kleiner, ganz besonderer Teil«, sagte sie und dachte an Gray, »kämpft so lange, bis er ganz oben ist. Und dabei kommen dann bewundernswerte Menschen heraus.«
Sie verstummte und blickte sehnsüchtig zu den Hügeln hinüber.
»Ich verstehe nicht ganz, was du damit sagen willst, Brie.«
»Oh.« Sie wandte sich ihm wieder zu. »Was ich sagen wollte, ist, daß ich nicht weiß, aus welchen Gründen Mr. Carstairs sein Leben verändert hat. Aber ich weiß, daß er nun niemanden mehr verletzt. Maggie hat alles, was sie will, und ich habe alles, was ich brauche, um zufrieden zu sein. Weshalb also sollten wir uns die Mühe machen und ihn nach all den Jahren noch zur Rechenschaft ziehen?«
»Maggie hatte mir bereits prophezeit, daß du das sagen würdest.« Er hob die Hände zum Zeichen, daß er sich geschlagen gab. »Aber ich mußte es zumindest versuchen.«
»Rogan«, rief Maggie von der Küchentür. »Telefon. Irgendwer aus Dublin für dich.«
»In unserem eigenen Haus geht sie nie ans Telefon, warum also hier?«
»Ich habe gedroht, daß ich nichts mehr für sie backe, wenn sie es nicht tut.«
»Ich habe bei ihr mit Drohungen noch nie etwas erreicht.« Er stand auf. »Den Anruf habe ich erwartet. Deshalb habe ich dem Büro deine Nummer gegeben, für den Fall, daß ich zu Hause nicht zu erreichen bin.«
»Kein Problem. Laß dir ruhig Zeit.« Sie lächelte, als Maggie mit dem Baby herauskam. »Nun, Margaret Mary, teilst du ihn vielleicht mal mit mir, oder willst du ihn für dich allein behalten, bis er in die Schule geht?«
»Er hat gerade nach seiner Tante Brie gefragt.« Kichernd gab Maggie Liam ihrer Schwester auf den Arm und setzte sich auf den Stuhl, von dem Rogan gerade aufgestanden war. »Oh, es tut so gut, mal zu sitzen. Liam hat letzte Nacht kaum ein Auge zugemacht. Ich schwöre dir, Rogan und ich sind mit ihm bestimmt bis nach Galway und zurück marschiert.«
»Glaubst du, daß er vielleicht schon die ersten Zähne bekommt?« Mit besänftigenden Lauten strich Brianna mit einem Knöchel über Liams Gaumen, um zu ertasten, ob er irgendwo geschwollen war.
»Vielleicht. Auf jeden Fall sabbert er wie ein junger Hund.« Maggie schloß die Augen und lehnte sich schlaff zurück. »Oh, Brie, wer hätte gedacht, daß man jemanden derart lieben kann? Ich habe den Großteil meines Lebens überhaupt nicht gewußt, daß ein Mensch namens Rogan Sweeney auch nur existiert, und jetzt kann ich mir einfach nicht mehr vorstellen, je wieder ohne ihn zu sein.«
Sie öffnete ein Auge, um sicherzugehen, daß Rogan noch nicht zurückgekommen war und ihren Anflug von Sentimentalität mitbekam. »Und das Baby, es ist einfach unglaublich, wie wichtig er mir ist. Als ich schwanger war, dachte ich, ich wüßte, wie es ist, ihn zu lieben, aber als ich ihn dann zum ersten Mal in den Armen hielt, war es viel, viel mehr.«
Sie stieß ein unsicheres Lachen aus. »Oh, diese Hormone. Sie machen mich vollkommen verrückt.«
»Es sind nicht die Hormone, Maggie.« Brianna strich Liam mit ihrer Wange über den Kopf und genoß seinen wunderbaren Babyduft. »Es ist einfach so, daß du glücklich bist.«
»Ich möchte, daß du ebenfalls glücklich bist, Brie. Aber ich sehe, daß du es nicht bist.«
»Das ist nicht wahr. Natürlich bin ich glücklich.«
»Du siehst bereits vor dir, wie er geht. Und du zwingst dich, sein Fortgehen zu akzeptieren, ehe es überhaupt so weit ist.«
»Wenn er gehen will, kann ich ihn nicht aufhalten. Das habe ich die ganze Zeit gewußt.«
»Warum denn nicht?« schoß Maggie zurück. »Warum denn nicht? Liebst du ihn etwa nicht genug, um darum zu kämpfen, daß er bleibt?«
»Ich liebe ihn zu sehr. Und
Weitere Kostenlose Bücher