Toedliche Blumen
seine Frage nicht, schloss aber daraus, dass Folke Roos keinen Kontakt zu ihm pflegte.
»Ich musste schließlich dafür sorgen, dass Doris nach einiger Zeit wieder auszog. Das war nicht ganz leicht«, betonte er jetzt aufgewühlter und in etwas höherem Tonfall; seine Stimme war kurz davor zu brechen, und die Atemfrequenz steigerte sich, als regte er sich angesichts der Erinnerungen eher auf, anstatt wehmütig zu werden.
»Nein, natürlich nicht«, entgegnete Louise und hoffte, dass er sich wieder beruhigen würde.
»Es zog natürlich den reinsten Eklat nach sich.«
Von seinen Lungen ging jetzt ein schwacher Pfeifton aus, rau und beunruhigend.
»In welcher Form?«, fragte sie vorsichtig, da sich seine Gesichtsfarbe zu verdunkeln begann und sie befürchtete, dass er aufgrund dieses Gefühlsausbruchs jeden Moment einen Herzinfarkt oder etwas Ähnliches erleiden könnte.
»Sie brüllte und schrie und …«
Er unterbrach sich abrupt, schaute erneut zu Boden und keuchte, als er nach seinem Taschentuch griff. Er schnäuzte sich und schien sowohl seinen Körper als auch seine Seele zu sammeln, seine Atemfrequenz regulierte sich allmählich, und er sank etwas zusammen, woraufhin sich seine Gesichtsfarbe wieder normalisierte.
Folke Roos schüttelte den Kopf.
»Hu«, brachte er hervor, wobei er wieder sanfter und nachsichtiger klang. »Das war eine Zeit, die ich nicht noch einmal erleben möchte!«
Wir alle haben wahrscheinlich Zeiten erlebt, die wir kein zweites Mal durchmachen möchten, dachte Louise. Und in genau so einer Phase befinde ich mich im Augenblick.
»Es legte sich also nach einer Weile wieder?«
»Ja.«
»Und das war wohl auch gut so, oder?«
»Ich hatte keine andere Wahl. Doris war wieder allein, ob sie wollte oder nicht, aber wir hatten dennoch immer wieder schöne Erlebnisse miteinander. Sie nahm ihre Arbeit als Kosmetikerin wieder auf, aber nur als Teilzeitkraft. Es war wohl nicht ganz einfach für sie zurechtzukommen. Rein wirtschaftlich gesehen, meine ich.«
Dieser betagte Gentleman hatte Doris auf jeden Fall nicht umgebracht, da war sich Louise sicher. Rein physisch gesehen, war er sowieso kaum in der Lage dazu, er konnte sich ja selbst nur mit Müh und Not fortbewegen. Und wenn er es getan hätte, dann zu einer anderen Zeit.
»Und später hatten Sie dann wieder mehr Freude aneinander?«
»Oh ja! Wenn man älter wird, lassen die Streitereien nach.«
Das klingt beruhigend, dachte sie.
»Aber wir haben uns viele Jahre lang nicht getroffen«, fügte er hinzu. »Es war zu schwierig mit meinen Töchtern, sie mochten sie einfach nicht. Doch einige Zeit später ließ Doris wieder von sich hören, ja, und dann sahen wir uns wieder. In der Zwischenzeit habe ich mich auch ziemlich einsam hier gefühlt. Wir tranken wieder zusammen Kaffee, und sie brachte selbst gebackenes Hefegebäck mit. Sie war eine fantastische Bäckerin«, sagte er, und seine Augen begannen zu leuchten. »Und sie besaß einen Führerschein. Doris hatte ein Auto, sie ist … ich meine, war ja sowohl jünger als auch agiler als ich. Wir machten lange Ausflüge zusammen.«
»Wie schön!«
»Man wollte ja wenigstens ein bisschen herumkommen.«
»Und nicht zuletzt ein wenig Gesellschaft haben«, setzte Louise hinzu.
»Ja.«
Ihr Blick wanderte zum Fenster. Leider war es nicht möglich hinauszuschauen, die dünnen Stores bedeckten das Fenster, aber wenn man sie zur Seite schieben würde, könnte man mit Sicherheit irgendwo zwischen den Nachbarvillen und den hohen Bäumen das Meer erblicken.
Das Meer, graugrün und aufgewühlt, direkt vor der Haustür. Sie sehnte sich nach draußen. Überlegte, ob sie noch mehr Informationen benötigte, konnte jedoch ihre Gedanken nur schwer zusammenhalten. Schaute in ihren Block. »Berg-und-Tal-Bahn« hatte sie ein weiteres Mal notiert. Doris’ inneres Chaos. Musste das noch von weiteren Personen belegt werden? Nein. Konnte das eventuell der Grund dafür sein, dass sie ermordet worden war? Überschießende Gefühle waren immer gefährlich. Hass, Rache, Eifersucht. Warum eigentlich nicht? Man konnte nie wissen, wozu Menschen in der Lage waren, wenn sie in Bedrängnis gerieten. Aber wen konnte Doris dermaßen aufgebracht haben?
Louise erhob sich ebenso wie Folke Roos, der sie nach draußen begleitete. An der offenen Haustür schlug ihr die frische, salzhaltige Luft entgegen. Ihr Gehirn wurde mit einem Schlag wieder wach.
»Ich würde gern noch wissen, wo Ihre Töchter jetzt
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