Toedliche Blumen
Eindruck nicht los, dass ihr Erinnerungsvermögen einer Batterie glich, der der Saft ausgegangen war.
Die Ermittlungen hatten sie übers Wochenende auf Eis gelegt, da sich schon genügend Überstunden angesammelt hatten. Einzig Peter Berg würde Dienst schieben; er hatte versprochen, Ted Västlund am Samstag abzufangen, wenn er von seinem Urlaub auf den Kanarischen Inseln zurückkam. Falls er nun tatsächlich auftauchte.
Rastlosigkeit machte sich in ihr breit. Sie konnte nur schwer allein sein, ohne beschäftigt zu sein.
Sie schlug die Zeitung auf, blätterte sie am Küchentisch stehend hektisch durch und riss dabei die Seiten beinahe heraus. Erblickte die Überschrift »Allein erziehende Mütter ökonomisch gesehen benachteiligt« und vertiefte sich in den Text, der wie für sie geschrieben zu sein schien.
Dort stand, dass man, unabhängig davon, welcher sozialen Schicht man angehörte, als allein erziehender Elternteil immer einen Abstieg auf der sozialen Schiene vollzog. Und sie zweifelte keinen Augenblick an dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage, auch wenn es ihr einen Stich versetzte, diese Tatsache anzuerkennen.
Gierig studierte sie die Zeilen: »Kaufen Sie Lebensmittel und Kleidung möglichst im Angebot. Verzichten Sie erst einmal auf eine Altersvorsorge. Die Zeit, in der die Kinder noch zu Hause leben, gehört zu der zehrendsten. Leben Sie im Hier und Jetzt, an Ihre Altersvorsorge können Sie später denken. Trauen Sie sich, um Hilfe zu bitten. Denken Sie positiv. Denn sobald Sie sich als Opfer betrachten, geraten Sie in eine Spirale, in der die Unannehmlichkeiten nur noch zunehmen.«
Nein! Sich als Opfer zu sehen war das Letzte, was sie wollte.
Sie legte die Zeitung zur Seite und ging ans klingelnde Telefon. Es war wieder einmal nicht für sie. Natürlich nicht.
Louise hatte eine Kiste Rotwein gekauft und sie in den Flur gestellt. Als sie daran vorbeiging, betrachtete sie die Flaschen so argwöhnisch, als könnten diese sie jeden Moment verschlingen oder augenblicklich zur Alkoholikerin machen.
Doch dann kam ihr die Übelkeit zu Hilfe, die sich wieder bemerkbar machte. Jetzt bloß keinen Wein! Das hatte Zeit bis danach. Doch dann würde sie sich sinnlos betrinken. Ihren Kummer und ihre Ängste und alles andere, was ihr zusetzte, in weinseliger Umnebelung ertränken. Sie würde es tun, wenn die Mädchen nicht zu Hause waren und sie freie Bahn hatte, denn mit dem, was sie tat oder ließ, wenn sie alleine war, konnte sie niemandem einen Schaden zufügen. Außerdem mussten einem wenigstens noch ein paar Geheimnisse bleiben.
Gabriella und Sofia waren mit verschiedenen Freundinnen unterwegs, hatten aber hoch und heilig versprochen, zur verabredeten Zeit wieder zurück zu sein. Hoffentlich begriffen die beiden, dass sie selbst kaum in der Lage war, noch mehr Probleme zu meistern, und dass sie gut daran täten, pünktlich zu kommen!
Noch hatte sie ihnen gegenüber nichts von einem eventuellen Umzug erwähnt. Kinder sollte man nicht unnötig beunruhigen. Sie hatte nicht einmal das Thema berührt, weder sich dezent über Umwege genähert noch eine ausgeklügeltere Variante gewählt, indem sie gefragt hätte, wie es ihnen denn dort gefiel, wo ihre Freundinnen wohnten. Außerdem wusste sie das bereits. Sie kannte ihre Stadt in- und auswendig. Und das war ihren Töchtern auch klar. Alles, was mit diesem Thema zu tun hatte, war leicht zu durchschauen, weshalb die Mädchen es wahrscheinlich auch nicht von sich aus anschnitten. Alle drei schwiegen im Hinblick auf ihre persönliche Katastrophe. Bis jetzt jedenfalls. Und sie hatte auch keine Ahnung, was Janos ihnen erzählte.
Im Moment fühlte sie sich in gewisser Hinsicht wie unter einer Käseglocke. Sie nahm das Leben um sich herum wahr, konnte aber nicht aktiv daran teilnehmen. Jedenfalls nicht voll und ganz.
»Du musst Geduld haben!«, hatte Monica ihr Mut gemacht. »Das wird schon wieder kommen.«
Gute Freundinnen waren das Beste, was es gab.
Sie überlegte, ob sie ihren Vater anrufen und mit ihm über die Finanzierung sprechen sollte, doch bei genauerer Betrachtung erschien es ihr aus verschiedenen Gründen nicht angebracht, nicht zuletzt deshalb, weil sie ihm so leidtat. Er war regelrecht betrübt, und ein Gespräch mit ihm würde wahrscheinlich eher darauf hinauslaufen, dass am Ende sie es war, die ihn trösten musste. Armer Kerl. Er war mit den Jahren immer sentimentaler geworden.
Sie beschloss, das Telefonat auf später zu verschieben. Wenn der Montag
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