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Toedliche Blumen

Toedliche Blumen

Titel: Toedliche Blumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wahlberg
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außerdem eine neue Konkurrenzsituation herausgebildet. Ein auf den ersten Moment nicht erkennbares, aber spürbares Ungleichgewicht.
    Ihr unterschwelliger Missmut gründete sich darauf, dass diese äußerliche Veränderung ihr eigenes Arbeitsfeld mehr und mehr zu beeinflussen begann. Das war ihr in den letzten Tagen immer klarer geworden. Seitdem ihre neuen männlichen Kollegen im Dienst waren, hatte sich die Unterscheidung von Aufgaben in solche, die zählten, und andere, die es nicht taten, geändert. Diese Tatsache schien nicht gerade zu ihrem oder Else-Britts Vorteil zu gereichen. Doch sie würden es niemals wagen, aufzumucken und die neuen Strukturen in Zusammenhang mit der Geschlechtersituation zu bringen. Nicht ohne eine gewisse innere Bereitschaft dazu, sich eine Menge Ärger von ihren männlichen Kollegen aufzuhalsen. Jedenfalls von einem Teil von ihnen. Nur wenige Gebiete waren so spannungsgeladen wie die Gleichberechtigung, dachte sie. Sagten sie nichts, würde sich auch nichts ändern. Erhoben sie aber ihre Stimmen, stopfte man ihnen mit Sicherheit das Maul.
    Wenn sie Petrén recht verstanden hatte, stellte er sich vor, dass ihr Verantwortungsbereich in Zukunft weniger anspruchsvolle Chirurgie und dafür mehr kleinere Eingriffe umfassen sollte. Zahlreichere poliklinische Operationen, unter anderem Knopflochchirurgie, und mehr Fürsorge.
    Sie hatte mit einem Kloß im Magen vor ihm gesessen und beobachtet, wie er seine Botschaft lächelnd in schöne Worte hüllte. Davon sprach, wie prädestiniert gerade sie im Vergleich zu allen anderen Kollegen der Klinik für diese Aufgabe war. Aber es half nichts, sie wusste, was das bedeutete. Nämlich dass er vorhatte, andere Ärzte mit den bedeutungsvolleren Aufgaben zu betrauen, mit dem, was Spaß machte und, anstatt ein müdes Gefühl der Leere zu hinterlassen, Befriedigung verschaffte. Wer könnte genau diese Untersuchungen besser durchführen, wenn nicht sie, sagte Petrén und lächelte noch breiter, doch je mehr er lächelte, desto größer wurde ihre Irritation. Taugte sie etwa nichts? Wollte er sie nicht länger beschäftigen?
    Während sie mit Klara auf dem Schoß dasaß und Zeit für all diese schmerzhaften Gedanken hatte, sah sie ein, dass sie eigentlich eine Geisel war. Denn keiner ihrer männlichen Kollegen würde jemals im Traum daran denken, diese so genannten schwierigen psychischen Fälle zu übernehmen. Sie waren kaum deswegen an die Klinik gekommen!
    Der Zug war voll besetzt. Klara und sie hatten zwei Plätze direkt gegenüber eines dicken und spürbar gutmütigen älteren Herrn bekommen, der während der ganzen Fahrt Augenkontakt gesucht hatte. Sie wartete regelrecht auf den Moment, in dem er sich nicht länger zurückhalten konnte, da sie innerlich spürte, dass er sich gerne unterhalten würde.
    Es war das reinste Vergnügen, in den Gesichtern fremder Menschen zu lesen. Im Abteil schräg gegenüber wurde eine lebhafte Gesellschaftsdebatte geführt, an der alle anderen Fahrgäste unfreiwillig teilhaben konnten. Eine ausufernde Diskussion über die Gier der Gesellschaft auf allen Ebenen, die steigende Kriminalität, Polizisten, die mit verschränkten Armen dasaßen und nichts unternahmen, ein Gesundheitswesen, das seinen Pflichten nicht nachkam, Pflegepersonal, das in verantwortungsloser Manier seine Patienten zu früh nach Hause entließ, sodass sie starben, sobald sie die eigene Türschwelle erreicht hatten, und nicht zuletzt die alten Menschen, die in Pflegeheimen dahinsiechten. Es nahm kein Ende. Und alle Äußerungen entsprachen natürlich der Wahrheit. Jedenfalls überwiegend. Es wurde nicht gerade gelogen, aber man unterschlug eben die andere Seite der Medaille.
    Als noch mehr Leute zustiegen und ein junger Mann fragte, ob er sich auf Klaras Platz setzen dürfe, sagte der Mann ihr gegenüber, der höchstwahrscheinlich schon längere Zeit Rentner war: »Es ist schön, dass so viele Menschen Zug fahren.«
    »Ja, das stimmt«, antwortete Veronika.
    »Welch ein Glück, dass wir einen Sitzplatz haben«, meinte er dann. »Ich lasse mir immer einen reservieren, denn ich bin alter Eisenbahner.«
    »Sie haben also bei der Schwedischen Bahn gearbeitet?«, fragte sie und wurde neugierig, denn gerade die alten redlichen Berufe, die sie aus ihrer Kindheit kannte, beflügelten nach wie vor ihre Fantasie.
    »Und ob!«, sagte der Mann. »Ich bin Lokführer«, setzte er mit sichtlichem Stolz hinzu, woraufhin Veronika befreiend lachte, denn dieses Thema

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