Toedliche Blumen
Mutter zögerte.
»Doch, ja. Ihr Fahrrad ist in der Werkstatt … oder … soll in die Werkstatt gebracht werden … Sie war nämlich vor ein paar Tagen vom Fahrrad gefallen, und dabei hatte sich etwas verklemmt … Ja, die Pedale laufen nicht mehr rund … oder was es nun ist.«
Ihre Stimme sackte ab, ihr Blick verlor den Fokus, und sie wurde unkonzentriert.
»Okay«, antwortete Larsson. »Sie kann also nicht mehr damit fahren?«
»Nein.«
»Welche Schule besucht Viktoria?«
»Valhalla.«
»Wissen Sie, welchen Schulweg sie für gewöhnlich nimmt?«
»Den kürzesten. Sie nimmt wohl die Abkürzung hier entlang«, sagte sie und zeigte auf die Grünfläche vor dem Fenster. »Und dann den Ingenjörsvägen entlang, glaube ich.«
»Sind Sie sicher?«
»Man kann ja nicht alles kontrollieren, wenn die Kinder älter werden. Ich habe ihr auf jeden Fall gesagt, sie soll den Fahrradweg nehmen … aber …«
»Eben sagten Sie aber, dass sie heute zu Fuß ging«, hakte Conny Larsson nach.
»Ja.«
»Glauben Sie, dass sie denselben Weg nimmt, wenn sie zu Fuß geht?«
Die Frau starrte ihn mit rot unterlaufenen Augen an, in denen die Tränen standen.
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen diese Frage beantworten …«
Sie riss ein Blatt Küchenpapier von der Rolle auf dem Tisch, schnäuzte sich und wischte die Tränen ab. Es verging eine halbe Minute.
»Besitzen Sie vielleicht ein Schulverzeichnis?«, fragte Larsson mit tatkräftiger und kompetenter Stimme weiter, Hoffnung auf eine schnelle Lösung signalisierend, beziehungsweise eine Art Zuversicht, dass sie die Lage unter Kontrolle hatten oder diesen Zustand zumindest anstrebten.
»Könnte ich vielleicht auch Viktorias Stundenplan und die Namen ihrer Freunde sowie der Lehrer bekommen?«, fügte er hinzu.
»Lina ist wohl die einzige Freundin«, entgegnete die Mutter, und ihr Gesicht verzog sich angesichts ihrer Verzweiflung wieder. »Sie sind immer zusammen. Ständig. Sie gehen in dieselbe Klasse.«
Sie stand auf und ging leicht schwankend in den Flur hinaus. Larsson und Jönsson hörten, wie Schubladen herausgezogen und wieder zugeschoben wurden, woraufhin die Frau in ein anderes Zimmer verschwand.
In der Küche wurde es still. Es herrschte eine angespannte Atmosphäre.
»Und wie gut kennen Sie Viktoria?«, nutzte Conny Larsson die Gelegenheit, Gunnar zu fragen.
»Ziemlich gut, kann man wohl sagen«, erwiderte er und zog seine Mundwinkel hoch.
Irgendetwas an dem zweideutigen und allzu glatten Lächeln irritierte Larsson. Es gefiel ihm nicht.
»Wohnen Sie auch hier?«, wollte er wissen.
»Nein, nein. Ich bin hergekommen, um sie zu unterstützen. Wir treffen uns manchmal«, lächelte Gunnar erneut.
»Und wann haben Sie Viktoria zuletzt gesehen?«
Er schwieg einen Moment.
»Vor zwei Tagen war das wohl. Ich habe hier zu Abend gegessen.«
»Haben Sie eigene Kinder?«
»Nein. Aber ich kann mir gut vorstellen, wie schrecklich so etwas ist. Und ich kenne sie ja schließlich wie meine Tochter«, sagte Gunnar großspurig.
Und dennoch klang es, als dächte er mehr an sich als an die arme Viktoria. Gerade weil seine Stimme etwas zu wichtigtuerisch klang, dachte Conny Larsson, und er wurde das Gefühl nicht los, dass es klug wäre, diesen Mann im Auge zu behalten.
Die Mutter kam mit dem Schulverzeichnis zurück. Conny Larsson blätterte darin, und sie zeigte ihm die Klasse ihrer Tochter, während Aspirantin Jönsson sich vorbeugte, um besser sehen zu können. Reihen von abwechselnd ernst dreinschauenden und lächelnden Kindern, ein Teil von ihnen schnitt sogar Grimassen, als wehrten sie sich gegen die gestellte Situation. Die Lehrerin, eine große, breitschultrige Frau, die einen quer gestreiften Pulli trug, stand mit einem fröhlichen Lächeln ganz hinten.
Die Mutter hatte auch ein großes Porträtfoto in Farbe von Viktoria mitgebracht, eines der Art, die jedes Jahr in den Schulen im ganzen Land in Auftrag gegeben werden. Der Hintergrund war grau meliert, wie ein traurig bewölkter Himmel, aber das Foto war nicht im Freien aufgenommen, sondern vor einer Art Fototapete oder Leinwand. Das Mädchen hatte helles halblanges Haar, das ihr glatt und schwer auf die Schultern fiel, ihr Pulli war rosafarben und schien eine Kapuze zu haben. Sie lächelte nicht, vermutlich hatte der Fotograf es eilig gehabt oder musste unter widrigen Bedingungen viele Gesichter innerhalb kurzer Zeit ablichten. Die Augen, die, ähnlich wie der Hintergrund, graublau zu sein schienen, saßen
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