Toedliche Blumen
eine Party zu geben. Farbenfrohe Papphüte, Tröten, knallbunte Servietten, Erfrischungsgetränke, Bier, Chips und andere überflüssige Dinge. Die Frau hatte ihr zebrafarben gemustertes Tuch so eng um den Hals gewickelt, dass es wie ein Verband aussah. Sie umklammerte ein knallrosafarbenes Portemonnaie, während der Mann den Wagen fest im Griff hielt, um sich überhaupt aufrecht halten zu können. Er war, gelinde gesagt, nicht mehr ganz nüchtern.
Die Kassiererin stand plötzlich auf, klappte die Kasse zu, schloss ab und verschwand in einem der Gänge. Eine leichte Unruhe breitete sich aus.
»Sie kann doch, zum Teufel noch mal, nicht so einfach abhauen«, sagte der Angeheiterte.
Keiner würdigte ihn auch nur eines Blickes.
»Für so etwas haben wir, verdammt noch mal, keine Zeit«, fügte er in Richtung seiner jungen Partnerin mit dem Zebrahalstuch hinzu.
Sie antwortete nicht. Schien ihn nicht zu hören.
Die Zeit verging, und die Kassiererin glänzte weiterhin durch Abwesenheit.
Doch dann tauchte der kundenorientierte Jocke auf und setzte sich triumphierend an die Kasse, woraufhin sich die Waren auf dem Rollband wieder in Gang setzten. Veronika schob den Wagen weiter und war gedanklich im Prinzip schon zu Hause, wo sie sich zu einem Leichtbier ein Knäckebrot mit Eierscheiben und Kaviar belegte.
Ein keckes Trallala unterbrach abrupt ihre Gedanken. Sie erschrak. Die Töne entsprangen ihrer Jacke und waren definitiv nicht von Mozart, eher etwas auffordernder, doch um welche Melodie es sich genau handelte, wusste sie nicht. Sie griff nach dem Klinikhandy. In dem Augenblick, als sie es zum Ohr führte, wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie im Falle eines akuten Einsatzes nicht einfach so davonstürzen und einen vollen Einkaufswagen mit Eis und allem sich selbst überlassen konnte.
Viktoria spürte, wie das Pochen in ihrem Körper langsam nachließ. Selbst die Angst hatte sich gelegt, auch wenn sie noch ein wenig zitterte. Wenn sie mit den Fingern auf ihren Bauch drückte, tat es weh, aber noch schlimmer war es, wenn sie versuchte, den Bauch einzuziehen und die Luft anzuhalten. Gerade deswegen probierte sie es jetzt aus. Sie wollte sich testen. Mit dem Schmerz vertraut werden. Ein und aus, ein und aus. Es schmerzte genau so, wie sie es erwartet hatte.
Dennoch war es nicht übermäßig schlimm, nicht so, dass sie weinen musste. Unangenehmer fühlte sich ihr rechtes Knie an, das inzwischen ziemlich geschwollen war. Sobald sie es beugte, begann es zu pochen. Aber gehen konnte sie trotzdem. Es war also nichts, woran sie sterben würde.
Sie saß auf einem Stuhl in der warmen Werkstatt und nippte an einem Becher mit stark gezuckertem, heißem Tee. Dazu hatte sie zwei Zwiebäcke bekommen, die sie mit einem Riesenhunger aß. Sie hätte ohne Mühe die ganze Dose leer essen können, traute sich jedoch nicht, Rita zu fragen.
So hieß sie. Rita Olsson. Ihr Vorname klang irgendwie fremd, aber gleichzeitig bekannt und war leicht auszusprechen. Viktoria wiederholte im Stillen den Namen: Rita, Rita, Rita …
Sie beschloss, ihr nächstes Stofftier Rita zu taufen. Vorausgesetzt, der Name passte zum Tier. Sollte es sich um ein Krokodil handeln, wäre er völlig unpassend. Das Krokodil Rita – nein, das ging nicht. Ihr Ameisenbär, der schon vor einer ganzen Weile verloren gegangen war, hatte Brasse geheißen. Als Viktoria an Brasse dachte, durchströmte sie ein Gefühl der Wehmut. Sie fragte sich, wo er jetzt wohl war. Ob er vielleicht unter einem Baum schlief oder eher in einem Papierkorb zusammen mit alten Bananenschalen oder ob er inzwischen sogar bei einem anderen Kind wohnte, das ihn gefunden hatte? Bei einem Kind, das sich um ihn kümmerte. Das ihn liebevoll behandelte. Vermutlich war es so, tröstete sie sich. Brasse hatte es gut, genauso gut, wie er es bei ihr gehabt hatte.
All ihre Maskottchen waren Tiere. Das ganze Zimmer war übersät mit ihnen: Schweine, Lämmer, Teddybären, Pferde, Hunde, junge Kätzchen, Hühner, eine Giraffe, ein Nilpferd, zwei Elefanten, und sogar einen Tapir besaß sie. Ein Krokodil fehlte ihr noch, dachte sie und blies vorsichtig in den heißen Tee. Es kam natürlich darauf an, ob das Krokodil süß war, ob es ihr gefiel und ob es auch zu ihr wollte. Allerdings besaß sie auch noch keinen Löwen. Vielleicht sollte sie eher einen Löwen kaufen. Oder eine Löwin. Aber eine Löwin konnte sie ebenso wenig Rita nennen. Das würde einfach nicht passen. Aber vielleicht wäre ein Igel gut.
Weitere Kostenlose Bücher