Toedliche Brautnacht - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Erster Roman
schwingend, gab sie schaurige, kreischende Töne von sich. Frauen, die unten am Wasser standen, die weißhaarige Dragomira darunter, antworteten ihr in einer Art Wechselgesang. Hinter ihr wehte der Vorhang zum Totenhäuschen, wo nun das ungleiche Paar auf die Abschiedsbesuche wartete. Die beiden riesenhaften Schergen standen außen an der Bordwand bis zu den Waden im Wasser – vermutlich, um den Trauergästen hineinzuhelfen.
Nahe beim Schiff fanden wir auch die Männer, die uns am Morgen auf der Burg empfangen hatten, die Vornehmen und Verwandten. Sie waren um ein prasselndes Feuer versammelt. Ein Greis, der ihr Priester zu sein schien, schrie mit Fistelstimme irgendwelche Beschwörungsformeln, die sie unter allerlei Zuckungen und Verrenkungen wiederholten. Eine Gruppe von Kriegern ließ Schwerter auf Schilde krachen. Grundlos hatten wir befürchtet, wir könnten uns durch den eigenen geräuschvollen Auftritt verdächtig machen.
Wir verfolgten eine kurze Weile die Trauerzeremonien, ohne dass man uns zu beachten schien. Doch dann löste sich Slawomir aus dem Kreis am Feuer und trat auf uns zu. Er blickte uns düster, doch wie mir schien, nicht feindselig an.
„Ihr kommt spät“, sagte er. „Das Vorrecht, das Euch eingeräumt wurde …“
„Darauf verzichten wir“, erwiderte Odo. „Wir begehren dafür ein anderes.“
„Welches?“
„Wir beide sind Stellvertreter des Kaisers Karolus Magnus.“
„Das wissen wir.“
„Wir müssen deshalb von Euch erwarten, dass Ihr uns so behandelt, als stünde der Kaiser selbst hier, in eigener Person.“
„Was bezweckt Ihr mit dieser Einleitung?“
„Nun … der Kaiser – durch uns vertreten – hat unter denen, die von Knes Ratibor, Euerm Vater, Abschied nehmen, den höchsten Rang.“
„Sein Reich“, fügte ich hinzu, weil der junge Knes wartete und schwieg, „ist etwa dreihundertmal größer als das Land der Obodriten.“
„Das mag wohl sein“, sagte Slawomir. „Aber was wollt Ihr nun?“
„Wir haben durch einen weisen Mann in unserm Gefolge, der über mystische Kräfte verfügt“ – Odo deutete mit großer Geste auf Rouhfaz –, „den Kaiser über 1000 Meilen hinweg befragen und seinen Willen erforschen können. Wir haben uns erkundigt, wie wir uns auf dem Schiff, das Euern Vater forttragen wird, verhalten sollen. Er gab zur Antwort, unsere erste Entscheidung sei falsch gewesen. Wir hätten uns vielmehr aus Achtung vor Euerm Volk und seinen Fürsten allen Bräuchen zu fügen – bedingungslos, so wie er es selbst tun würde, wäre er anwesend. Er verlangt allein, dass sein Rang geachtet wird. Das heißt, er wünscht, sich als Erster von Knes Ratibor und seiner Gemahlin zu verabschieden.“
Slawomir blickte Odo starr an, und seine schwarzen Augen verengten sich zu Schlitzen. Eine blonde Strähne fiel ihm über die Augen, die er mit einer heftigen Geste zurückstrich.
„Unter Wahrung aller Bräuche?“, fragte er scharf.
„Unter Wahrung aller Bräuche.“
„Aus freundschaftlicher Gesinnung?“
„Aus freundschaftlicher Gesinnung.“
„Auf dass künftig zwischen Franken, Sachsen und Obodriten Frieden und Eintracht herrsche!“, fügte ich mit treuherziger Feierlichkeit hinzu.
Der junge Knes starrte nun auch mich so durchdringend an, dass ich vor Schreck einen Schluckauf bekam.
„Was tragt Ihr da bei Euch? Was ist das?“
„In diesem kostbaren Behältnis“, antwortete Odo an meiner Stelle, „befinden sich unsere Ernennungsurkunde zu Stellvertretern des Kaisers sowie eine schriftliche Botschaft an Euern Vater. Beide Dokumente, so unser Auftrag, sind Knes Ratibor unter allen Umständen vorzulegen. Leider hatten wir dazu noch keine Gelegenheit. Wir wollen es nun nachholen.“
„Aber er ist doch tot!“
„Wenn Herr Karolus, unser großmächtiger Kaiser, befiehlt, ‚unter allen Umständen‘, so schließt das auch diesen Umstand ein. Übrigens ist die Vorlage der Dokumente eine Amtshandlung, bei der wir beide gleichzeitig anwesend sein müssen. Auch wir haben Bräuche, Knes, und müssen tun, was sie vorschreiben.“
Slawomir wünschte den Inhalt der Schatulle zu sehen und überzeugte sich, dass sie tatsächlich nichts enthielt als zwei Pergamente. Das zweite war allerdings keine Botschaft, sondern nur eine Abschrift des „Capitulare Saxonicum“. Wie froh war ich, dass Odo meine Idee, unter den Blättern einen Dolch zu verstecken, für zu gefährlich gehalten hatte!
Der junge Wendenfürst sagte: „Ihr werdet nicht gleichzeitig bei
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