Toedliche Brautnacht - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Erster Roman
dem Vorhang hereinlangte und fordernde Bewegungen machte. Es war Odos Hand! Sie wollte den Dolch!
Ich reiße mich also zusammen und öffne mit fliegenden Fingern die Gürtelschnalle. Aber ach, im selben Augenblick wird mir bewusst, was für ein furchtbares Missverständnis diese Bewegung verursacht! Die Gefesselte auf dem Totenbett reißt ihre hellen, blauen Augen weit auf, und ich sehe, wie sich ihr bloßer Leib windet – in einer Art, die selbst ich, der Unerfahrene, nicht als wollüstige Erregung deuten kann. Zeit wird es, sie aufzuklären, aber ich bringe nur ein „huck, huck“ heraus. Den Dolch! Ich muss ihre Fesseln zerschneiden. Der Gürtel ist endlich geöffnet, mit einer Hand halte ich die Hose, mit der anderen greife ich tief hinein, wühle in meinem Hosenschatz. Dies wird erst recht missdeutet: Jetzt sind die Augen dunkelblau, fast schwarz. Die sich bäumende, an ihren Fesseln zerrende Schöne befreit einen Fuß und tritt mich gegen die Wade. Ich fasse nach der schmerzhaft getroffenen Stelle und lasse infolgedessen die Hose los. Sie sinkt und entlässt mit Gepolter ihren metallenen Inhalt: Ringe, Reife, Fibeln, Löffel. Wo ist der Dolch? Aber zuerst muss ich mich bedecken. Ich ziehe den Kittel bis zu den Knien hinab.
Plötzlich – ein Ruck. Die Balken unter mir gleiten fort. Ich stürze nach vorn, genau in die Mitte zwischen das ungleiche Paar. Am Diadem des Knes Ratibor stoße ich mir scheußlich die Stirn. Halb ohnmächtig strecke ich eine Hand aus und suche Halt. Bekomme einen Apfel zu fassen, es könnte auch eine Birne sein. Ich denke: Gibt man den Toten hier Obst als Zehrung auf dem Wege ins Jenseits mit?
In diesem Augenblick sagt hinter mir eine wohlbekannte Stimme:
„Lass ab von ihr, Wüstling! Wer hätte das von dir gedacht, frommer Vater!“
Odo steht ragend hinter mir. Ein kühler Luftzug trifft meinen kahlen Hintern. Ich liege auf dem Bauch, und neben mir, unter mir … oh, ich wage es nicht zu sagen! Jedenfalls wird mir nun klar, was für ein Apfel das ist, den ich gepackt habe. Ich fahre zurück und richte mich auf.
„Was ist los?“
„Was los ist? Wir sind unterwegs. Und jetzt mach Platz und richte dich her. Ist nicht anständig, wie du aussiehst. Schöne Dame, ich bin Odo von Reims, aus der Familie der Merowinger, ein alter Bekannter Eures Vaters, des Grafen Waratto. Ich teile Euch mit, dass Ihr gerettet seid! Wenn es Euch recht ist, werde ich Euch nun mit dem Messer, das Euer edles Herz durchbohren sollte, die Fesseln lösen.“
Das Messer des Todesengels! Während Odo ungeduldig auf meinen Dolch wartete, fiel sein Blick auf die Zauberin. Die Alte tanzte noch immer am Heck – mit Messer und Seil. Ein rascher Entschluss, zwei Schritte. Odo entriss ihr das Messer, kappte das Ankertau. Das war der Ruck, der mich umriss. Das Schiff nahm unverzüglich Fahrt auf, doch schafften es alle unsere Leute, an Bord zu kommen. Vorher mussten Helko und Fulk noch die beiden Riesen mit unerwarteten Faustschlägen außer Gefecht setzen. Die alte Zauberin, aus ihrer Verzückung gerissen, war erschrocken zurückgefahren und rücklings ins flache Wasser gefallen. Dabei hatte sie – was später noch von Bedeutung sein wird – das Seil zurückgelassen. Alle neun Männer waren also an Bord gelangt, acht aus eigener Kraft, der neunte – Rouhfaz – mit Hilfe der anderen. Sogar Odos Purpurmantel samt Schwert konnte gerettet werden. Einer der Männer hatte einen Zipfel erwischt, den er im Vorbeigleiten knapp unter der Wasseroberfläche erspäht hatte.
Odo befreite die schöne Hereswind – ich nenne sie von jetzt an nur Swinde – von Knebel und Fesseln, und zu unserer großen Verwunderung zeigte der überstandene Schrecken bei ihr keinerlei Nachwirkung. Sie sprang auf, riss den Vorhang herunter, wickelte sich hinein, verknotete mit flinken Fingern die Enden und trat vor die Hütte. An den Mast gelehnt, blickte sie zum Ufer zurück, schüttelte die Faust und schrie ein um das andere Mal:
„Das wirst du mir büßen, du Schuft! Verräter! Feigling! Kuppler! Warte nur, dich bringe ich auch noch um!“
Als sie kurz Atem holte, stellte Odo die Frage: „Wen meint Ihr damit, edle Frau?“
„Edle Frau?“, fuhr sie ihn an. „Ich bin Jungfrau! Das hätte denen so passen können! Ich lasse mich von diesem wendischen Unhold entführen … und was tut er? Verkuppelt mich an den Alten da. Aber der hat sein Teil, und er, der Kuppler, bekommt das seinige! Und du, Dicker“, wandte sie sich an mich,
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