Tödliche Ernte
wieder aus dem Weg. Und Gert war fest entschlossen, der Gruppe anzugehören, die Tally als Geächtete behandelten. Ganz toll. Gert arbeitete im Konferenzraum, genau wie Mary und Donna, die sich erboten hatten, übers Wochenende mitzuhelfen.
Selbst Veda wollte nicht mit mir reden, es sei denn, um mir weitere Vorhaltungen wegen meiner Undercovertätigkeit bei der Zeitschrift zu machen.
Samstagabend verkroch ich mich in meinem Hotelzimmer und veranstaltete eine Party mit mir und meinem Selbstmitleid.
Ich fühlte mich als Gefangene meiner Maskerade und entrechtet durch alle, die mir nahestanden. Ich rief bei Kranak an, dann bei Gert und bei Veda. Jedes Mal hatte ich den AB an der Strippe und legte wieder auf.
Auf Kosten des fbi betrank ich mich mit Old Grandad und wurde dann ganz weinerlich wegen meines Vaters und noch mehr wegen meiner Mom, die ich nie gekannt hatte. Gegen Mitternacht schlief ich besoffen ein.
Der Sonntag war eine Wiederauflage des Samstags, aber ohne den Bourbon.
Der Montag war der Tag, an dem ich damit rechnete, unserem Killer gegenüberzutreten. Inzwischen kam es mir vor, als wäre Tally Whyte ein Traum. Meine Wirklichkeit hieß Emma Nash, und die war schlechter Laune, aber bereit für den Kampf.
Menschen drängten sich im Konferenzraum von Magazine Media Resources – fast zwei Dutzend insgesamt. Mit gewollt munterer Stimme nahm ich Bestellungen für Bagels, Muffins, Tee und Kaffee von den durcheinanderredenden Redakteuren und Grafikern entgegen.
Als ich zurückkam, stellte ich sicher, dass ich jedem Einzelnen seine Bestellung aushändigen und dabei einen Blick auf die Gesichter werfen konnte.
Die Unterhaltungen gingen weiter, während ich Essen und Trinken verteilte. Ich kam mir wie eine verdammte Stewardess vor.
Steve Vellner wog keine siebzig Kilo. Er starrte ungeniert auf meine nicht existenten Brüste, quasselte aber weiter mit irgendeiner Frau aus der Redaktion, während ich ihm seinen Muffin reichte.
Im Geiste sah ich McArdle und den dünnen VW-Fahrer vor mir. Sogar der Schnitter war nicht so gut im Verkleiden. Vellner war aus dem Rennen.
Ich stellte Jim Spinellis und Mark Ellsworth’ Essen ab. Spinelli, der wie Ellsworth zwischen zwanzig und dreißig war, blieb auf der Liste. Nicht zu groß, nicht zu klein. Sein Haar war ganz kurz geschnitten, und er war glatt rasiert. Sein kantiges Kinn erinnerte mich an »Trepel«. Meine Hand zitterte von dem Adrenalinstoß, als ich die Kaffeetasse abstellte.
Wahrscheinlich dachte er, die neue Aushilfe wäre ein Junkie.
Ich verteilte Essen an die Redakteurinnen und quetschte mich dann hinter den Klappstühlen durch zu Harv Britt.
Er war ganz in Schwarz gekleidet und wandte mir den Rücken zu.
Ich stellte gerade seinen Kaffee ab, als er sich einer Redakteurin auf der Tischseite gegenüber zuwandte.
Heiliger Strohsack. Britt sah mehr nach McArdle aus als McArdle selbst.
Als er sich genau wie McArdle am Ohrläppchen zupfte, drehte ich fast durch.
Ich knallte das Tablett mit dem Essen hin, murmelte »Entschuldigung« und floh aus dem Raum.
An meinem Schreibtisch bekam ich mein Zittern wieder unter Kontrolle. Zugegeben, Britts Körpergröße konnte ich nicht beurteilen. Aber sein Haar war zottelig, und er hatte große abstehende Ohren. Er trug keinen Bart, was auch Sinn ergab. Umso besser konnte er dann nämlich falsche Bärte ankleben.
Sein Outfit – schwarzes T-Shirt unter einem schwarzen Sakko und dazu eine schwarze Jeans – war so trendy wie McArdles bieder. Aber Kleider machen keine Leute.
Britt sah durchtrainierter aus als McArdle, aber »Emmas« krummer Rücken war das genaue Gegenteil meiner normalen Körperhaltung.
Britt trug eine dicke Brille, und ich hatte nicht erkennen können, ob seine Augen blass waren.
Aber es war auch egal. Britt und McArdle waren einfach ein und derselbe.
Ich griff zum Telefon, um Kathleen anzurufen. Ich hatte noch nicht einmal mit dem Kerl gesprochen. Ich hatte weder seine Stimme gehört, noch seinen Gang oder seine Größe gesehen. Ich legte den Hörer wieder auf.
Ich wollte nicht nur Vermutungen anstellen oder auf meinen Bauch hören. Ich wollte es wissen.
Zwei Stunden Nägelkauen später war das Meeting zu Ende. Wie besprochen, stellte Case mich den drei Männern vor, die ich offiziell noch nicht kannte.
Vellner war definitiv draußen. Aber wenn nicht Britt aufgetaucht wäre, hätte ich gesagt, dass Spinelli immer noch als Kandidat infrage kam.
Ich stellte mir sein Gesicht geschminkt vor und
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