Tödliche Ewigkeit
Denn es ist gefährlich.
Und Lucie hatte diesen Wink nicht beherzigt. Sie hatte sich zu nah herangewagt … Und aus diesem Grund hatte man sie umgebracht.
Aber zu nah an was?
Was hast du gesehen, Lucie, das du besser nicht gesehen hättest?
Als Ann das Luxusrestaurant betrat, wo Yudkowski bei einem Gin Martini auf sie wartete, erhob er sich und eilte ihr entgegen. Er hatte sich in Schale geworfen: Gucci-Blazer über elfenbeinfarbenem Hemd, weinrote Seidenkrawatte, Mokassins aus schwarzem Krokoleder. In den Kreisen, die Ann wohl vertraut waren, obgleich sie ihnen seit langem den Rücken gekehrt hatte, kleidete man sich so, wenn man Eindruck machen wollte.
»Wie schön, Sie zu sehen«, hauchte er ihr ins Ohr und führte sie an seinen Tisch. »Was möchten Sie trinken?«
»Dasselbe wie Sie.«
Er winkte den Keller herbei, der die Bestellung aufnahm. Dann erging er sich in einer leidenschaftlichen Schilderung, welchen Eindruck sie bei ihrem ersten Besuch auf ihn gemacht habe und dass er ständig an sie habe denken müssen. Während sie vorgab, ihm aufmerksam zu lauschen, beobachtete sie ihn. Er war zweifellos ein sehr attraktiver Mann. Wohl dosierte Bräune, muskulöser Körper, der von regelmäßigen Besuchen im besten Fitness-Center zeugte, die Augenpartie ohne jegliche Falten, was ohne Kunstgriffe kaum möglich schien – alles an diesem Mann zeigte, dass er auf ein perfektes Äußeres bedacht war. Die Frauen an den Nachbartischen warfen ihm immer wieder verstohlene Blicke zu. Noch dazu machte er einen aufrichtigen Eindruck.
Wie kam es dann, dass sie nichts für ihn empfand?
Wäre es nicht einfacher, sie würde sich in einen solchen Mann verlieben – eine gute Partie, die ihren Eltern mit Sicherheit gefiele?
Ann lächelte in sich hinein. Einfache Lösungen waren anscheinend nichts für sie …
Jeff hingegen war nicht im eigentlichen Sinne attraktiv. Seine Züge waren nicht ebenmäßig, sondern arg gezeichnet vom Leben, die Proportionen seines eher stämmigen Körpers entsprachen nicht dem aktuellen Schönheitskanon … Außerdem war er ein unsteter, bindungsunfähiger Mensch am Rande des Wahnsinns. Doch von ihm ging eine Spannung, eine ungezähmte Kraft, eine gefährliche Intensität aus, die für Ann etwas Raubtierhaftes, Wildes hatte: eine Welt jenseits der quälenden Normen und Konventionen, mit denen sie aufgewachsen war.
Yudkowskis Körper verströmte lediglich den Hauch eines teuren Parfums, von dem er nur ein paar Tropfen aufgelegt hatte: so wenig, dass man Lust verspüren sollte, sich zu ihm vorzubeugen, um den Duft einzuatmen.
»Sie sagen ja gar nichts?«
Verstört stellte Ann fest, dass der Arzt seinen schwärmerischen Wortschwall beendet hatte. Sie wollte ihn nicht zu brutal abweisen – einerseits aus Sympathie für seine Person, andererseits um das Gespräch, das sie mit ihm führen wollte, nicht zu gefährden.
»Dr. Yudkowski, ich fühle mich sehr geschmeichelt, aber …«
»Nennen Sie mich bitte Bob.«
»Bob, ist es nicht etwas zu früh, um von Gefühlen zu sprechen? Wir müssen uns unterhalten, uns kennenlernen …«
»Ich bin verwirrt, Ann. Ich habe den Eindruck, Sie seit jeher zu kennen.«
Er reichte ihr die Karte.
»Lassen Sie uns erst einmal das Menü auswählen.«
Während der Vorspeise und des Hauptgangs drehte sich ihre Unterhaltung um belanglose Themen. Ann erzählte ganz allgemein vom Polizeidienst, ohne freilich ihre Probleme zu erwähnen, Yudkowski schilderte, wie er seine Leidenschaft für die Medizin entdeckt hatte. Nach und nach ging er zu den persönlicheren Aspekten seines Berufs über: die Beziehung zu den Patienten, der Tod, die Angst vor Kunstfehlern … Ann nutzte die Gelegenheit, um das Gespräch auf Henry Buchanan zu lenken.
»Das ist die Art von Fehlern, die jeder Arzt fürchtet«, sagte er mit einem Seufzer.
»Warum?«
»Weil ich selbst heute mit dem zeitlichen Abstand immer noch nicht begreife, worin mein Irrtum bestand. Wäre ich noch einmal mit der gleichen Situation konfrontiert, ich würde wieder dieselbe Diagnose stellen. Ein unverzeihlicher Fehler, der schreckliche Folgen hatte.«
»Sie sprechen von Henry Buchanans Reaktion?«
»Nicht nur. Die ganze Familie war erschüttert. Steve war völlig verstört, weil er glaubte, sein Vater müsse sterben …«
»Aber Sie erwähnten doch Konflikte zwischen Vater und Sohn …«
»Ja. Das hat mich überrascht. Nun, trotz solcher Spannungen hatte ich keinen Zweifel daran, dass er seinen Vater
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