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Tödliche Feindschaft

Tödliche Feindschaft

Titel: Tödliche Feindschaft
Autoren: Berndt Guben
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Nimbus eines kühnen Draufgängers, den man gerne als tüchtigen Offizier in der Armee hatte. Das Delikt, um dessentwillen er damals zu den Söldnertruppen, die der hessische Landgraf an den englischen König verkauft hatte, abgestellt worden war, war vergeben. Wenn sich nun aber der Oberst plötzlich persönlich für Baum zu interessieren begann, so bestand die Gefahr, daß all das Vergangene wieder aufgewärmt wurde. Und wie er, Rudolf von Eberstein, den Pfeifer kannte, nahm dieser kein Blatt vor den Mund.
    Eberstein wußte plötzlich, daß er das Spiel, das er ein Jahrzehnt lang spielte, verloren hatte. Je näher er dem Hause kam, in dem er mit seinem Vater wohnte, um so zögernder wurde sein Schritt. Was würde wohl der Vater sagen? Zum zweitenmal in verhältnismäßig kurzer Zeit war es die Schuld des Sohnes gewesen, die alle Spekulationen des alten Gauners über den Haufen geworfen hatte.
    Rudolf verspürte plötzlich den heftigen Wunsch, sich über das, was vorgefallen war, mit einem Freund auszusprechen. Aber des einzigen Freundes, den er je besessen hatte, hatte er sich selbst beraubt. Richard Baum saß ebenfalls im Gefängnis.
    Er ging an seinem Haus vorbei. Er hatte nicht den Mut einzutreten. Später saß er in einem Restaurant und trank Wein. Der Alkohol half über solche Situationen immer noch am besten hinweg. Zumindest war er dazu angetan, Dinge, die sich zwangsläufig ereignen mußten, hinauszuschieben.

    54

    Der Pfeifer hielt erschöpft inne. Die Anstrengung, die ihm die Freiheit versprach, war vollbracht. Noch einmal fuhren seine Finger prüfend über die eingefeilten Kerben. Seine Fäuste griffen in das Gitter und rüttelten daran. Es gab keinen Zweifel : ein kurzer, kräftiger Ruck genügte, um es herauszureißen. Er ließ sich auf die Pritsche nieder, um zu verschnaufen. Bevor er seinen Weg nach draußen antrat, mußte er frische Kräfte sammeln.
    Er hatte noch nicht lange so gesessen, als sich die Guckklappe in der Tür öffnete und im Schein einer Kerze das grimmige Gesicht des Wachsergeanten sichtbar wurde.
    »Sein Glück«, sagte die knurrige Stimme, »daß Er die Pfeiferei eingestellt hat.« »Mein Glück sieht ganz anders aus.«
    »Werde Er nicht frech, Halunke. Sei Er froh, daß wir Ihn nicht geknebelt haben.«
    »Sei Er froh, daß Er es nicht versucht hat«, entgegnete Michel. »Es wäre Ihm wahrscheinlich
schlecht bekommen, mir einen Knebel in den Mund zu stecken.«
»Er ist arrogant, als sei Er aus Preußen.«
»Er hat wohl noch keinen Preußen gesehen, wie?«
»Ach ...« Der Sergeant warf wütend die Klappe zu.
    Michel streckte sich auf der Pritsche aus. Er hatte das Bedürfnis, seine Glieder zu entspannen. Die verkrampften Armmuskeln brauchten Auflockerung. Der Puls mußte ruhiger werden; denn sein starkes Klopfen verursachte ein hämmerndes Geräusch im Schädel, das das Gehör trübte. Im Liegen stopfte er sich eine Pfeife und rauchte mit Behagen. Als nach dem letzten Zug der Rest der Glut zu Asche verglomm, hallten die Glockenschläge von Sankt Martin herüber. Sie kündeten die zwölfte Stunde. »Mitternacht«, murmelte Michel, »es wird Zeit.«
    Er erhob sich, dehnte und streckte sich wie eine Katze und fühlte sich voll von Tatendrang. Der nächtliche Himmel war verhangen. Nur hier und dort blickte ein Stern durch die dichte Wolkendecke. Von dem Silberstreifen der abnehmenden Mondsichel war nichts zu sehen. »Bueno«, murmelte Michel vor sich hin und stellte den Schemel unter das Fensterchen. Mitten in dieser Beschäftigung hielt er inne.
    Er war reichlich verblüfft. Er stellte fest, daß er in spanischer Sprache dachte, soweit sich das Denken um jene Tätigkeit drehte, die er vollführen mußte, um in die Freiheit zu gelangen. Jemand, der die Gedankentiefe des Pfeifers nicht besaß, wäre über eine solche Feststellung sicherlich mit einem Achselzucken hinweggegangen. Ihn aber stimmte sie nachdenklich. Man sollte, dachte er, der Muttersprache nicht einfach »Adieu« sagen. Sie war doch wesentlicher Bestandteil des eigenen Ich. Sicher, Deutschland als politischer Begriff war nichts. Aber Deutschland, von der Sprache, vom Geist, von der Kunst her gesehen, war viel.
    Gestern, in einer Mußestunde, hatte ihm Jehu ein Pamphlet gebracht, das kürzlich erschienen war. Michels Interesse war wach geworden, als er in großen, einfachen Buchstaben, quer über den Umschlag gedruckt, die Worte »In Tyrannos« las. Das Büchlein enthielt nichts als ein «Drama. Es hieß »Die Räuber« und
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