Tödliche Feindschaft
ist freundlich und vermag traurige Menschen zu trösten, obgleich er vielleicht selbst den größten Trost nötig hätte.« »Inwiefern?«
»Man sagt, daß er seinen Sohn, einen sehr hoffnungsvollen Sohn, verloren habe. Der Sohn war
Soldat des Landgrafen, ist dann geflohen, hat sich eine Weile in der Welt herumgetrieben und ist
dann umgekommen.«
»Umgekommen?«
»Ja. So jedenfalls geht das Gerücht. Maurische Piraten sollen ihn erschlagen haben.«
»Gestattet, daß ich das meinem Freund in seiner Muttersprache erzähle, er versteht nämlich nicht
Deutsch.«
»Aber natürlich.«
Señor Árbol wandte sich an seinen Freund und sagte ein paar Worte auf spanisch. Der andere stellte eine Gegenfrage. Árbol antwortete wieder.
So unterhielten sie sich eine Weile, bis sie zu einem Ergebnis gekommen schienen. Der Deutschsprechende wandte sich wieder an Jehu:
»Sagt, Herr Rachmann, wäret Ihr wohl bereit, dem alten Tabakhändler eine große Freude zu machen?«
Jehu blickte zwar etwas verständnislos drein, beeilte sich aber zu bejahen.
»Ihr wißt«, nahm Árbol wieder das Wort, »daß der Schreck töten kann, nicht wahr? Auch der
freudige Schreck.«
»Ja.«
»Ihr werdet Euch also vorstellen können, ein wie großer Schock es für Andreas Baum wäre,
wenn er erführe, daß sein Sohn noch lebt.«
Jehu sah Árbol erstaunt an.»Kennt Ihr denn den Sohn?«
Árbol nickte.
»Ich will Euch eine spannende Geschichte erzählen, wenn Ihr mir versprecht, daß Ihr zu jedermann darüber schweigen werdet.«
»Oh, ich bin das Schweigen gewöhnt«, sagte Jehu bitter. »Es gibt ohnehin nur wenige Leute, die sich für das interessieren, was ich sage.«
»Ich meine das nicht so, ich möchte nur, daß das, was ich Euch jetzt erzähle, nicht unrechten Menschen zu Ohren kommt. Es hängt sehr viel davon ab.« »Ihr habt mein Wort.«
»Habt Ihr Fremdsprachen gelernt?« fragte Árbol zum Erstaunen des Musikers.
»Ja.«
»Des Spanischen seid Ihr nicht mächtig?«
»Leider nein. Ich kann nur Latein, Griechisch, Hebräisch und etwas Französisch.«
»Latein? — Das wird genügen. Erinnert Ihr Euch noch meines Namens?«
»Verzeiht, aber er klang so fremd, daß ich ihn mir nicht merken konnte.«
»Árbol.«
»Ganz recht, jetzt erinnere ich mich wieder.«
»Gut. Dann wechselt das L am Schluß gegen ein R aus. Welches lateinische Wort habt Ihr
dann?«
»Arbor.«
»Gut«, lächelte der Fremde befriedigt, »die meisten spanischen Wörter sind lateinischen
Ursprungs. Arbor und Árbol haben die gleiche Bedeutung. — Welche wohl — erinnert Ihr
Euch?«
»Arbor heißt der Baum.«
»Richtig. Ihr seid ein gelehriger Schüler. Fällt Euch noch nichts auf?«
Jehu fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen.
»Nanntet Ihr Euch nicht mit dem Vornamen Miguel?«
»Ja. Das stimmt. Miguel Árbol.«
»Michael Baum — — beim gerechten Gott! — Ihr seid doch nicht der Sohn von Andreas?«
»Der bin ich.«
»Welch eine Überraschung!«
»Versteht Ihr jetzt, warum ich Euch um Verschwiegenheit bat?« »Vollkommen. Dann stimmt das also nicht mit dem Gerücht?«
»Wie Ihr seht, nein. Ich nehme an, Graf Eberstein hat es ausgesetzt. Er ist einer der größten
Lumpen, denen ich je auf Gottes Erdboden begegnet bin.«
Jehu Rachmanns Gesicht wurde leichenblaß.
»Sagtet Ihr Eberstein?«
»Ja. Kennt Ihr ihn?«
»Und ob. — Er hat den Vater meiner Braut auf dem Gewissen. Abraham Hirschfelder ist durch seine Gemeinheit in den Tod getrieben worden. Und zwar heute nachmittag. Deshalb konnte ich keine Tanzmusik spielen. Deshalb brauchte ich Bach. Zum Trost.« »So treibt dieser Lumpenhund noch immer sein Unwesen?« »Sein Vater, der alte Graf, ist der Mörder Hirschfelders.« »Erzählt der Reihe nach«, sagte Michel.
Bis in die tiefe Nacht hinein lauschte der Heimgekehrte den Erzählungen des schmächtigen, langaufgeschossenen Musikers. Jede Einzelheit ließ er sich berichten. Es war sehr spät, als Jehu Rachmann mit erstickter Stimme zum Ende kam.
»Ich will Euch helfen«, sagte Michel. »Aber Ihr müßt mir vertrauen. Ich selbst allerdings brauche ebenfalls Hilfe. Wenn alles so wird, wie ich es mir vorstelle, werdet Ihr zum Schluß glücklich Eure Braut in die Arme schließen. — — Darf ich Euch meine Freundschaft anbieten?« Glücklich, daß ein so weitgereister und offensichtlich vornehmer Mann wie Michel Baum ihm, dem halb Verachteten und halb Geduldeten, seine Freundschaft anbot, schlug er in die dargereichte Rechte ein.
Ojo hatte zwar nichts von dem
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