Tödliche Geschäfte
»Er hat soeben das Gebäude betreten, wahrscheinlich, um weitere Mäuse zu injizieren. Was für eine Hingabe! Ich sag Ihnen, der Junge ist ein absoluter Trumpf und alle Mühen wert.«
Es war kurz nach zehn Uhr abends, als Robert Harris die Wohnung von Ralph Seaver verließ. Der Mann war nicht besonders kooperativ gewesen. Er hatte sich daran gestört, daß Harris seine Verurteilung wegen Vergewaltigung in Indiana zur Sprache gebracht hatte, seiner Ansicht nach eine »uralte Geschichte«. Harris hielt nicht viel von Seavers Rechtfertigungen, aber im Geiste hatte er ihn trotzdem von der Liste der Verdächtigen gestrichen, sobald er ihn zum ersten Mal leibhaftig gesehen hatte. Der Angreifer war als mittelgroß beschrieben worden, während Seaver knapp zwei Meter groß und mindestens zweihundert Pfund schwer war.
Harris stieg in seine dunkelblaue Ford-Limousine und nahm die letzte Akte aus der Gruppe der vordringlich Verdächtigen zur Hand. Tom Widdicomb wohnte in Hialeah, nicht allzu weit entfernt von Harris’ jetzigem Standpunkt. Trotz der fortgeschrittenen Stunde beschloß Harris, beim Haus des Mannes vorbeizufahren. Wenn das Licht brannte, würde er klingeln. Wenn nicht, würde er bis morgen warten.
Harris hatte bereits einige Anrufe in Sachen Tom Widdicomb getätigt. Er hatte herausgefunden, daß der Mann einen Kurs als Rettungssanitäter belegt und erfolgreich abgeschlossen hatte. Ein Anruf bei einem Krankentransport-Unternehmen hatte nicht viel gebracht. Der Besitzer der Firma weigerte sich, irgend etwas zu sagen, und erklärte nur, daß man ihm, das letzte Mal, als er Auskunft über einen früheren Angestellten erteilt habe, hinterher die Reifen von zweien seiner Krankenwagen zerstochen hatte.
Ein Anruf beim Miami General Hospital war nur unwesentlich ergiebiger gewesen. Ein Mitarbeiter der Personalabteilung sagte, daß Mr. Widdicomb und das Krankenhaus sich in gegenseitigem Einvernehmen getrennt hatten. Der Mann gab allerdings zu, Mr. Widdicomb nie persönlich getroffen zu haben, sondern lediglich aus seiner Personalakte zu zitieren.
Harris hatte sich auch bei Glen, dem Chef des Hauspersonals der Forbes-Klinik, nach Widdicomb erkundigt.
Glen sagte, daß Tom seiner Ansicht nach ein verläßlicher Arbeiter sei, der jedoch häufig Streit mit Kollegen hatte. Er meinte, daß er besser allein arbeitete.
Als letztes hatte Harris versucht, einen Tierarzt namens Maurice Springborn zu erreichen. Die Nummer war jedoch nicht mehr gültig, und die Auskunft hatte ihm auch keine neue nennen können. Alles in allem hatte Harris also nichts Belastendes gegen Tom Widdicomb zutage fördern können. Als er jetzt auf der Suche nach der Palmetto Lane 18 durch Hialeah fuhr, war er nicht sehr zuversichtlich.
»Naja, wenigstens brennt noch Licht«, sagte er sich, als er vor einem ziemlich heruntergekommenen, ranchartigen Haus am Straßenrand hielt. Im Gegensatz zu den anderen bescheidenen Häuschen der Nachbarschaft war Tom Widdicombs Heim erleuchtet wie der Times Square in der Silvesternacht. Jedes Licht in und am Haus strahlte hell.
Harris stieg aus seinem Wagen und starrte die Auffahrt hoch. Es war erstaunlich, wieviel Licht ein einzelnes Haus verbreiten konnte. Buschwerk warf harte Schatten auf die Fassade. Als er die Auffahrt hochging, bemerkte er, daß der Name am Briefkasten Alice Widdicomb lautete. Er fragte sich, wer sie war und in welcher Beziehung sie zu Tom stand.
Harris ging die Stufen zur Haustür hoch und klingelte. Wartend musterte er das Haus. Es war schlicht und in verblassenden Pastelltönen gehalten und brauchte dringend einen neuen Anstrich.
Als niemand aufmachte, klingelte Harris noch einmal, während er sein Ohr an die Tür hielt, um sicherzugehen, daß die Klingel funktionierte. Er konnte sie deutlich hören. Kaum vorstellbar, daß bei dieser Festbeleuchtung niemand zu Hause war.
Nach dem dritten Klingeln gab Harris auf und kehrte zu seinem Wagen zurück. Statt direkt loszufahren, starrte er weiter auf das Haus und fragte sich, was Menschen bewegen konnte, ihr Haus dermaßen zu beleuchten. Er wollte gerade den Motor anlassen, als er durch das Wohnzimmerfenster eine Bewegung wahrnahm. Dann sah er es wieder. Jemand im Haus hatte ohne Zweifel eine Gardine bewegt. Wer immer es war versuchte ganz offensichtlich, einen verstohlenen Blick auf den späten Besucher zu werfen.
Ohne einen Moment zu zögern, stieg Harris aus seinem Wagen und ging zur Haustür zurück. Er lehnte sich gegen die Klingel und
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