Tödliche Gier
gesprochen?«
Mrs. Stegler warf mir einen bezeichnenden Blick zu und gab mir mit den Augen zu verstehen, dass Merry jedes Wort aufsog, das wir wechselten. »Möchten Sie nicht mit in sein Büro kommen? Wir können uns dort unterhalten.«
Sie hielt die in den Tresen eingebaute Schwenktür auf, und ich ging hindurch. Ihre Augen waren so klein und rund wie die eines Papageis, ein blasses, wässriges Blau mit einem schwarzen Ring um die Iris. Als wir das hintere Büro betraten, sagte sie zu Merry: »Bitte sorgen Sie dafür, dass wir nicht gestört werden.«
Merry antwortete: »Ja, Ma’am«, und rollte zu niemand Bestimmtem die Augen.
Ich für meinen Teil war neugierig darauf, Dr. Purcells Büro zu sehen, das klein und ordentlich war: Schreibtisch, Drehstuhl, zwei gepolsterte Besucherstühle sowie ein Regal mit medizinischen Fachbüchern und verschiedenen Gesundheitshandbüchern. Am Rand seines Schreibtischs stand der frisch geschorene Efeu, der aussah wie ein Cockerspaniel mit Sommerfrisur. Ich hätte viel dafür gegeben, seine Schreibtischschubladen durchsuchen zu können, aber die Aussichten darauf waren mager.
Es war klar, dass Mrs. Stegler es für unpassend hielt, sich an seinen Schreibtisch zu setzen. Sie hockte sich auf die Kante eines der beiden Besucherstühle, und ich nahm den anderen, wodurch wir fast Knie an Knie da saßen. Sie rutschte mit ihrem Stuhl zurück, schlug die Beine übereinander und entblößte dadurch einen Streifen weißes, haarloses Schienbein oberhalb des Randes ihrer Wollsocke.
»Ich hoffe, das befremdet Sie nicht, aber ich muss Ihnen sagen, dass ich Klatsch unerträglich finde«, begann ich. »Obwohl ich Detektivin bin, ermutige ich nie jemanden dazu, aus dem Nähkästchen zu plaudern oder einen Vertrauensbruch zu begehen — erst recht nicht in einer Angelegenheit wie dieser.«
Sie sah mich mit einem Hauch von Misstrauen an. Vielleicht roch sie den Schwindel, vielleicht auch nicht. »Da sind wir uns einig.«
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir alles über seinen letzten Tag hier sagen könnten.«
»Das habe ich alles schon der Polizei geschildert. Mehr als einmal, könnte ich hinzufügen.«
»Ich hoffe, Sie schildern es mir noch ein weiteres Mal. Detec-tive Odessa hat mir erzählt, dass Sie sehr hilfsbereit waren.«
Sie spähte beklommen auf meine Umhängetasche, die neben meinem Stuhl auf der Erde stand. »Sie nehmen das doch nicht etwa auf.«
Ich beugte mich vor, packte die Tasche und hielt sie ihr offen hin, damit sie ihren Inhalt inspizieren konnte. Das Einzige, was entfernt wie ein Recorder aussah, war mein amtlicher, geheimer Tamponbehälter aus Plastik mit seinem enorm leistungsfähigen Richtmikrofon.
»Und Sie zitieren mich auch nicht aus dem Zusammenhang heraus?«
»Ich zitiere Sie überhaupt nicht.«
Sie schwieg und starrte auf ihren Schoß herab. Schließlich sagte sie: »Ich bin schon seit Jahren geschieden.«
Sie schwieg erneut, und ich ließ das Thema ohne einen Kommentar meinerseits oder weitere Ausführungen ihrerseits im Raum stehen. Ich merkte ihr an, dass sie mit den Worten rang. Auf einmal verzerrte sich ihr Gesicht, und ihre Lippen schienen von unsichtbaren Schnüren nach innen gezogen zu werden. Sie begann zu sprechen, doch ihre Stimme war so gepresst und rau, dass ich kaum verstehen konnte, was sie sagte. »Dr. Purcell... war der Mensch..., der mir am nächsten stand. Ich kann gar nicht fassen, dass er weg ist. Ich bin am folgenden Montagmorgen zur Arbeit gekommen, und da tuschelten schon alle, dass er... vermisst wird. Ich war schockiert. Er war... so ein netter Mann... ich habe ihn so bewundert... Wenn ich gewusst hätte, dass dies das letzte Mal sein würde, das ich ihn sehe, hätte ich ihm... meinen herzlichsten Dank ausgesprochen... für die vielen, vielen... Freundlichkeiten, die er mir erwiesen hat.« Sie holte erneut tief Atem und strahlte die Art von Kummer aus, die man nicht in Worte fassen kann. Nach einer halben Minute schien sie sich wieder gefasst zu haben, wenn auch nur mit Mühe. Sie zog das Einstecktuch aus der Brusttasche und schnäuzte sich geräuschvoll. Die Seide schien wenig saugfähig zu sein. Sie faltete die Hände im Schoß und knautschte den Stoffklumpen zwischen den Fingern. Ich sah, wie ihr erst eine und dann eine zweite Träne in den Schoß fiel, wie langsames Tropfen aus einer Dusche, die nicht richtig zugedreht worden ist.
Mir fiel auf, dass sie abgesehen von Blanche die Erste war, die eine echte emotionale Reaktion
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