Tödliche Liebe: Roman (German Edition)
Künstlerzimmer«, murmelte Lew. »Walker habe ich vorläufig woanders hingebracht.«
»Wunderbar.« Sie eilte an ihm vorbei in den Flur hinaus. Als sie die vierköpfige Familie begrüßte, die sich nervös auf dem Sofa vor dem Fernseher zusammengekauert hatte, gab sie sich freundlich und wohlwollend und sicherte ihnen ihre Unterstützung zu. Den Dank der vier tat sie mit einer Handbewegung ab, drängte sie aber noch dazu, vor dem Auftritt etwas zu essen und zu trinken, tätschelte den Kopf des kleinen Jungen und kitzelte das Kleinkind unter dem Kinn.
Als sie zur Garderobe zurückeilte, war ihr Lächeln schlagartig wie weggeblasen. »Die sehen mir aber nicht gerade so aus, als ob sie seit sechs Wochen auf der Straße leben! Warum tragen sie so gute Kleidung? Warum sind sie so sauber?«
»Ich… Sie wußten, daß sie im ganzen Land zu sehen sind
und haben sich nach besten Kräften herausgeputzt. Das ist eine Frage des Stolzes, Angela.«
»Nun, dann sorgt gefälligst dafür, daß sie ein wenig abgerissener aussehen!« fuhr sie ihn an. Mit der Geschwindigkeit eines Güterzuges verstärkten sich ihre Kopfschmerzen, sie spürte ein heftiges Verlangen nach ihren Pillen. »Herrgott noch mal, ich will, daß sie völlig verarmt wirken und nicht wie irgendeine Familie aus der Mittelklasse, die gerade vom Pech verfolgt wird!«
»Aber genau das sind sie«, setzte Lew an.
Sie hielt inne, drehte sich um. Ihr Blick war kalt wie Eis und ließ ihn erstarren. »Selbst wenn die vier ihren Abschluß in Harvard gemacht hätten, interessiert mich das einen Scheißdreck. Hast du mich verstanden? Das Fernsehen ist ein visuelles Medium. Vielleicht hast du das ja vergessen. Ich will, daß sie wie Leute aussehen, die man gerade von der Straße aufgelesen hat. Dann macht die Kinder eben wieder dreckig. Ich will Löcher in ihrer Kleidung sehen.«
»Angela, das können wir nicht machen. Mit einer solchen Inszenierung gehen wir einfach zu weit.«
»Erzähl mir nicht dauernd, wozu du nicht in der Lage bist.« Sie stieß ihm einen rosiggrauen Fingernagel in die Brust. »Ich werde dir jetzt genau sagen, was wir tun müssen. Vergiß nicht, es ist meine Show, ja? Meine. Du hast zehn Minuten Zeit. Also raus mit dir! Und dann laß dir etwas einfallen, womit du dir dein Geld verdienst.« Sie schob ihn nach draußen und knallte die Tür hinter ihm zu.
Vorhin im Flur war ihre Panik fast übermächtig geworden. Kalte Schauer waren ihr über die Haut gelaufen, zitternd hatte sie sich gegen die Tür gelehnt. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, und sie mußte nach draußen auf die Bühne und dem Publikum gegenübertreten. Die warteten dann nur darauf, daß sie eine falsche Bewegung machte oder die falschen Worte wählte. Und wenn sie sich einen winzigen Fehler leistete, würden sie über sie herfallen wie ein Rudel wilder Hunde.
Und sie würde alles verlieren. Alles!
Auf wackligen Beinen stürzte sie durch den Raum und
goß sich mit zitternden Händen Champagner ein. Sie wußte, daß ihr das jetzt helfen würde. Nach den vielen Jahren, in denen sie es strikt abgelehnt hatte, vor dem Auftritt Alkohol zu sich zu nehmen, hatte sie herausgefunden, daß sie sich durch ein kleines Glas direkt vor der Sendung von diesen feuchtkalten Schauern befreien konnte. Zwei Gläser konnten ihr alle quälenden Ängste nehmen.
Gierig leerte sie das Glas, goß sich dann mit einer ruhigeren Hand ein zweites ein. Ein drittes Glas konnte doch bestimmt nicht schaden, sagte sie sich. Es macht alles ein wenig erträglicher und glättet die Kanten. Wo hatte sie das nur schon einmal gehört? fragte sie sich, als sie das Kristallglas an die Lippen führte.
Ihre Mutter! Herrgott, das war ihre Mutter gewesen!
Das macht alles ein wenig erträglicher, Angie. Ein paar Schlucke Gin glätten die Kanten.
Entsetzt ließ sie das volle Glas fallen. Schäumender Champagner ergoß sich über den kleinen Teppich. Sie beobachtete, wie sich der Fleck wie Blut immer weiter ausbreitete und wandte sich schaudernd ab.
Sie war nicht auf einen Drink angewiesen, war nicht wie ihre Mutter. Sie war Angela Perkins. Und sie war besser als alle anderen.
Fehler wird es nicht geben, versprach sie sich, als sie sich wieder zum Spiegel drehte, so daß sie der Anblick ihrer prächtigen Aufmachung und ihrer eleganten Erscheinung beruhigen konnte. Sie würde jetzt nach draußen gehen und das tun, worin sie unschlagbar war. Und sie würde diese wilden Hunde ein weiteres Mal in Schach halten, würde sie
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