Tödliche Liebe: Roman (German Edition)
sollte ich? Wie ich bereits erläuterte, hatten wir keine Affäre.«
»Die hatten Sie auch mit Deanna nicht«, bemerkte Finn und stellte mit Genugtuung fest, daß Marshall das Lächeln vergangen war. »Aber Sie haben trotzdem permanent versucht, mit ihr in Kontakt zu kommen.«
»Seit fast einem Jahr habe ich das nicht mehr getan.«
»Aber Sie haben ihr Briefe zukommen lassen und sie angerufen.«
»Nein. Erst jetzt, seit ich von dieser Geschichte hörte, habe ich sie wieder angerufen. Da sie aber auf keinen meiner Anrufe geantwortet hat, muß ich annehmen, daß sie meine Hilfe
entweder nicht will oder nicht braucht.« Marshall war sich sicher, ausgesprochen vernünftig mit der ganzen Situation umgegangen zu sein, zupfte erneut seine Manschette zurecht und stand auf. »Wie ich Ihnen sagte, habe ich einen Termin um sieben. Ich muß zuvor noch nach Hause und mich für den Abend umziehen. Jedenfalls haben Sie mir ein interessantes Intermezzo beschert. Vergessen Sie nicht, Deanna meine besten Wünsche auszurichten.«
»Das werde ich bestimmt nicht tun.« Finn erhob sich ebenfalls, machte aber keinerlei Anstalten zu gehen. »Ich habe noch eine andere Frage, sozusagen von Reporter zu Psychologe.«
Marshalls Mund verzog sich schlagartig zu einem höhnischen Grinsen. »Wie könnte ich das zurückweisen?«
»Es geht um Obsessionen.« Finn ließ das Wort eine Weile in der Luft hängen und hielt nach verräterischen Anzeichen Ausschau: nach dem Vermeiden von Augenkontakt, einer plötzlichen unwillkürlichen Bewegung, einer Veränderung im Tonfall. »Wenn ein Mann oder eine Frau sich über einen langen Zeitraum hinweg, beispielsweise zwei oder drei Jahre lang, auf eine Person fixiert und Phantasien nachhängt, es aber nicht schafft, auf diese Person zuzugehen und ihr real gegenüberzutreten, und wenn dieser Mann oder diese Frau in der Phantasie das Gefühl hat, verraten worden zu sein, was würde er oder sie spüren? Liebe oder Haß?«
»Das ist eine schwierige Frage, Mr. Riley, die sich mit so wenig Informationen kaum beantworten läßt. Ich kann nur sagen, daß Liebe und Haß tatsächlich so eng und auf so komplizierte Weise miteinander verflochten sind, wie die Dichter immer behaupten. Beides kann die Kontrolle übernehmen, und je nach den Umständen kann beides auch gefährlich werden. Zwangsvorstellungen sind selten konstruktiv, und zwar für keinen der Beteiligten. Sagen Sie, planen Sie eine Sendung zu diesem Thema?«
»Könnte sein.« Finn griff nach seinem Mantel. »Als Laie frage ich mich, ob jemand, der sich dauernd mit einer solchen Zwangsvorstellung beschäftigt, das verbergen und seinen alltäglichen Aktivitäten nachgehen kann, ohne daß seine
Maske verrutscht.« Finn studierte Marshalls Gesicht. »Nehmen wir beispielsweise diesen John Smith, der ein halbes Dutzend Menschen im Supermarkt niedergemäht hat. Die Nachbarn erzählten nur, was für ein netter, ruhiger Bursche er gewesen ist.«
»Solche Sachen kommen vor, nicht wahr? Die meisten Leute sind sehr geschickt darin, andere nur das sehen zu lassen, was sie von sich zeigen wollen. Darüber hinaus sehen die meisten Leute ohnehin nur das, was sie sehen wollen. Aber wenn die Menschen etwas einfacher gestrickt wären, müßten wir uns beide wohl nach einer anderen Arbeit umsehen.«
»Da ist etwas dran. Vielen Dank, daß Sie die Zeit erübrigen konnten.«
Als Finn die Praxis verließ und an der Anmeldung vorbei zu den Fahrstühlen ging, fragte er sich, ob Marshall Pike wohl der Typ war, der einer Frau das Gesicht wegschießen würde und dann ruhig davonspazierte. Eine gewisse Kaltblütigkeit traute er dem Mann jedenfalls zu.
Unter der glatten Oberfläche witterte er bei ihm noch etwas anderes. Das konnte natürlich nur eine rein animalische Reaktion auf ihn sein, mit der er sein Territorium verteidigen wollte, dachte Finn. Doch bei genauerem Hinspüren merkte er, daß es der Reporter in ihm war, der dieses Unbehagen empfand. Marshall Pike versteckte etwas, und es lag jetzt an ihm, herauszufinden, was das war.
Es würde bestimmt nicht schaden, noch einmal beim Hotel vorbeizugehen und zu überprüfen, ob jemand Marshall in der Nacht, in der Angela starb, irgendwo in der Nähe gesehen hatte.
Marshall saß in seiner Praxis hinter dem Schreibtisch. Er wartete, bis er das leise Rumpeln des Fahrstuhls hörte, wartete weiter, bis er überhaupt nichts mehr vernahm. Dann griff er nach dem Telefon, tippte die Nummer ein und wischte sich mit der feuchten
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