Toedliche Luegen
den sich verzweifelt Wehrenden fest. Amüsiert presste er seine nach Nikotin stinkende Hand auf die Nase des Mannes, bis der den Mund aufriss und gierig nach Luft schnappte. In diesem Moment stießen sie ihrem Opfer den Hals der Schnapsflasche zwischen die Zähne. Erst, nachdem sie vollständig geleert war, ließen sie von ihm ab.
Keuchend rang er nach Atem. Die hochprozentige Flüssig keit lief ihm aus den Mundwinkeln über die nackte Brust. Als der Alkohol die offenen Wunden erreichte, schrie er vor Schmerz auf. Seine Haut brannte wie ein höllisches Feuer, das ihm erneut die Sinne raubte.
„Bewegt euch! Er wird nicht mehr lange durchhalten. Und vergesst seine Jacke nicht! Habt ihr alles? Dann los!“
Laut brüllend gab jemand das Zeichen zum Aufbruch. Sie wollten ihren Gefangenen lebend abliefern. Achtlos warfen sie ihn auf die Ladefläche des Transporters, wo seit dem Überfall das silberfarbene Motorrad lag. Abgesehen von einer verbogenen Fußraste und ein paar nicht nennenswerten Kratzern im Lack hatte die Maschine weit weniger Schaden genommen als ihr Besitzer.
Der bekam von all dem kaum mehr etwas mit. Der Alkohol war bereits dabei, sich seinen Weg durch den missbrauchten Körper zu fressen und ihn zu lähmen.
Schon zum vierten Mal rannte Juliette durch das riesige Haus und die breite Treppe hinab zur Eingangstür, an der die Glocke schellte. Ungesunde Hektik hatte ihre Wangen mit hässlichen, violetten Flecken überzogen. Und sie hätte schwören können, in diesem Moment zu einem Mord fähig zu sein.
Erst war der Gemüsehändler mit der bestellten Ware gekommen, drei Kisten voll, die noch nicht ausgepackt waren und ihr bei jedem Schritt in der Küche im Weg standen. Dann hatte der Postbote ein Telegramm für den Hausherrn abgegeben. Schließlich brauchten die Fensterputzer nach getaner Arbeit e ine Unterschrift. Und jeder der Männer erwartete von ihr ganz selbstverständlich, dass sie mit ihnen nicht nur ein kleines Schwätzchen hielt, sondern ebenfalls eine Tasse frisch gebrühten Kaffees trank. Dazwischen klingelte immer wieder das Telefon für die beiden Herren, weil sich keiner bemüßigt gefühlt hatte, den Anrufbeantworter vor ihrer Abwesenheit zu besprechen. Wenn sie noch öfter gestört würde, käme sie mit ihren Arbeiten nie zu einem Ende!
In wenigen Tagen wurde die Tochter ihres Arbeitgebers erwartet, und sie, das Hausmädchen, lief nach wie vor mit einem Staubwedel durch die Gegend! Dabei hatte sie mit der Feinreinigung nach den Umbauten längst fertig sein wollen. Außerdem warteten unzählige weitere Besorgungen auf sie, Karten für die Oper und das Theater bestellen, Blumen auswählen und in der Wäscherei anrufen, einen Termin mit der Modistin vereinbaren und auch die Menüfolgen für die kommende Woche standen noch nicht fest.
Es war nie die Rede davon gewesen, so musste sich Juliette erst vor zwei Tagen wieder von der keifenden, alten Köchin belehren lassen, dass sie alleinverantwortlich für die Aufstellung der Speisepläne der werten Herrschaften war. Ja, wer denn sonst? Es konnte wohl nicht sein, dass ihr, Juliette, nur weil sie im Elsass aufgewachsen war und Deutsch sprach, zusätzlich diese Verantwortung zufiel! Und überhaupt, woher sollte sie wissen, was eine Deutsche zu speisen pflegte? Wenn diese Frau lediglich halb so verwöhnt und anspruchsvoll wie ihr Vater war, konnte sie heute schon ihr Testament aufsetzen.
Und natürlich war von den Herren selbst weit und breit keiner zu sehen, damit sie ihre Vorschläge wenigstens absegnen konnten. Monsieur Germeaux hielt sich in Brest auf und durfte wegen solcher Lappalien natürlich nicht behelligt werden. Der Junior war zwar daheim, allerdings wusste sie sehr wohl, dass sie bei ihm mit ihren Fragen, den Besuch der unbekannten Tochter betreffend, auf taube Ohren stoßen würde. Den Versuch, ihn deswegen zu belästigen, konnte sie sich also sparen. Viel zu gut erinnerte sie sich an die heftigen, verbalen Auseinandersetzungen der ungleichen Brüder, wenn die Sprache auf dieses leidige Thema kam.
Worauf hatte sie sich bloß mit dieser Familie eingelassen! Es war, weiß Gott, nicht das erste Mal, dass sie den Tag verfluchte, an dem sie den Dienstvertrag bei den Germeaux‘ unterschrieben hatte. Lediglich die großzügige Entlohnung hielt sie davon ab, auf der Stelle das Handtuch zu werfen und die Flucht zu ergreifen.
Inzwischen läutete es Sturm an der Haustür. Mit böse funkelnden Augen riss Juliette die Tür auf.
Und
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