Toedliche Luegen
sie nicht viel zu sehr Realist, um sich der Illusion hinzugeben, sie könnte daran etwas ändern?
Und was war mit diesem alles schmelzenden Blick, mit dem er sie bedacht hatte? Sie hatte sich das nicht eingebildet!
„Ein deutscher Frachter? Steht ein Name dabei?“
„Nein.“ Als Alain ihr offensichtliches Interesse bemerkte, überflog er noch einmal den Zeitungsartikel. „Warte. Hier: Deutscher Massengutfrachter ‚Fritz Stoltz’ mit Roheisen an Bord auf dem Weg von Rotterdam nach Yokohama gekentert und gesunken. Zufrieden?“
Er konnte nicht sagen, ob er derart gereizt reagierte, weil sie unbeabsichtigt bei dem Thema Pierre und Deutschland angelangt waren. Er selbst war es doch gewesen, der damit angefangen hatte!
Er schaute von der Zeitung auf und erschrak heftig, während er sich verwirrt fragte, was er jetzt schon wieder falsch gemacht hatte. Beate war totenbleich, hatte die Lippen aufeinander gepresst und saß stocksteif vor Entsetzen. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Ihre Lider flatterten hektisch und voller Panik und Alain musste mindestens ebenso kopflos erkennen, dass sie verzweifelt gegen Tränen ankämpfte.
A ls würde sie den Sinn dieses Wortes nicht kennen, wiederholte sie tonlos: „Zufrieden? Ob ich zufrieden bin, willst du wissen? Zufrieden, weil die ‚Fritz Stoltz’ gesunken ist? Ausgerechnet die ‚Fritz Stoltz’. Auf diesem Schiff fährt meine Freundin. Meine allerbeste Freundin.“
Jedes ihrer Worte bohrte sich wie eine Messerklinge in Alains Herz. Viel zu spät wurde er sich seiner schadenfroh geäußerten Feststellung bewusst, ein Deutscher sei nicht glimpflich wie Pierre bei dem Wirbelsturm davongekommen. Längst war jegliche Herablassung aus seinem Blick verschwunden.
„War sie bei dieser Reise ebenfalls an Bord?“, erkundigte er sich behutsam.
Beates Schultern zuckten. Sie gab ein zittriges Lachen von sich und blinzelte hektisch die Tr änen von den Wimpern. „Warum fragst du? Es interessiert dich doch gar nicht.“
Ihre ausdruckslose Stimme war für ihn wie ein Hieb in die Magengrube. Plötzlich hatte er den Wunsch, es wieder gutzumachen. Er musste den leblosen Ausdruck aus ihren Augen verbannen, musste ihrer Stimme wieder diesen leicht impertinenten Klang zurückgeben. Er wollte sie lachen hören und selber lachen über eine ihrer launigen Bemerkungen. Er wusste nicht genau, warum. Er wusste nur, dass er es einfach tun musste.
„Nein, das … Es interessiert mich. Und ich wollte dir nicht wehtun, Bea. Ich habe nicht gewusst …“
„Natürlich nicht .“ Urplötzlich schluchzte sie auf und presste die Hände vors Gesicht. „Oh nein, nicht sie! Nicht meine Suse! Aber ihr ist bestimmt nichts passiert. Ganz bestimmt nicht. Es geht ihr gut.“
„ Bist du sicher, dass sie an Bord war?“
Sie schüttelte den Kopf, während sie ihm das Taschentuch abnahm, damit sie sich die Tränen trocknen konnte. „Sie hat ein einziges Telegramm geschickt, als sie auf dem Weg nach Klaipėda war“, antwortete sie ihm mit einem Schniefen. „Das ist schon ein paar Wochen her. Möglich, dass sie in der Zwischenzeit abgestiegen ist. Ich habe keine Ahnung, wo sie fährt. Steht … Was steht noch in dem Artikel?“
Alain betrachtete sie prüfend . Es hätte keinen Sinn, sie anzulügen. Sie war des Französischen zu mächtig, als dass er ihr die Wahrheit vorenthalten könnte. Früher oder später würde sie es lesen oder in den Nachrichten hören.
„Von v ierunddreißig Mann Besatzung …“ Er brach ab und hob den Blick von der Zeitung. „Bea, solltest du nicht besser erst versuchen, die Eltern deiner Freundin anzurufen? Du machst dir vielleicht völlig unnötig Sorgen, weil sie bei dieser Fahrt gar nicht an Bord des Frachters war. Oder frag bei der Reederei nach, für die sie fährt. Diese Meldung ist von gestern. In der Zwischenzeit kann sie sich längst überholt …“
„Was -steht-noch-zu-diesem-Untergang?“, herrschte sie ihn ungehalten an.
Er beugte sich über die Zeitung, weil er den Schmerz in Beates Augen nicht länger ertrug. Wie hatte sie es geschafft, völlig unangebrachte Beschützerinstinkte in ihm zu wecken? Mann-Frau-Gefühle, wie ihm mit Schrecken deutlich wurde. Ausgerechnet für die Tochter des Mannes, der ihn am meisten hasste! Suchen Sie nach einer aussichtslosen Verbindung? Nehmen Sie Beate und Alain. Ein Zugunglück hätte vermutlich mehr Chancen auf ein Happy-End.
„Mehr als zwanzig Besatzungsmitglieder werden noch immer vermisst.
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