Tödliche Mitgift
Miene passte.
»Was geschehen ist, tut mir sehr leid, Matthias«, sagte Rizzo und legte einen Moment seine warme Hand auf Nowaks Schulter. Trauer, Selbstvorwürfe und Verzweiflung hatten Matthias Nowak die gesamte Fahrt von Perugia hierher begleitet. Ihm war nicht nach Gesellschaft zumute, und nach Rizzos aalglatter Selbstbeherrschung schon gar nicht. Nur mit Mühe widerstand er dem Impuls, die Hand abzuschütteln wie ein ihm widerliches Tier. Eben auf der Fahrt die schmale, gewundene Straße den Hügel hinauf zu Rizzos Haus hatte Nowak sich in jeder Kehre eine neue, wütende Anschuldigung ausgedacht, die er ihm an den Kopf werfen wollte. Nun, da er ihm gegenüberstand, bekam er kein einziges Wort heraus. Er nickte schweigend und verschloss seine Gefühle in sich, um sich vor Rizzo keine Blöße zu geben. Er wusste nicht, wie er es ertragen sollte, wenn Caterinas Onkel auch nur Annegrets Namen aussprach!
Rizzo, der Nowaks abweisendes Verhalten nicht auf sich zu beziehen schien, führte Caterina und ihn durch das Haus hinaus auf die Terrasse. Nowaks Blick erfasste einen großen, rechteckigen Swimmingpool, Liegestühle aus Teakholz mit weißen Polstern und einen gedeckten Tisch unter der Pergola. Architektur und Wohnen hätte es nicht besser arrangieren können … Von der Terrasse des Hauses konnte man ins Tal bis nach Tuoro und auf den Trasimenischen See schauen.
Während Rizzo eine Flasche Rotwein entkorkte und Caterina auf einer der Liegen Platz nahm, ging Matthias Nowak zu der Brüstung aus Natursteinen, die die Terrasse vom Garten trennte, und sah hinunter. Die Steine unter seinen Händen strahlten die Wärme des Tages ab, und vom Hang stieg der aromatische Duft nach trockener Erde, Gräsern und Kräutern zu ihm auf. Ein traumhaftes Stückchen Erde – für ihn aber so bedeutungslos wie eine Filmkulisse aus Pappe.
Bei ihrem letzten Treffen hatte Rizzo erzählt, dass man von hier aus genau in das Tal blickte, wo einst Hannibals Truppen im Zweiten Punischen Krieg den Römern unter Gaius Flaminus eine vernichtende Niederlage beigebracht hatten. Dort unten, nahe dem Ufer, waren die Römer in einen Hinterhalt geraten und von Hannibals Truppen regelrecht abgeschlachtet worden. Fünfzehntausend römische Soldaten hatten dabei den Tod gefunden. Der Fluss, der in diesem Tal den Berg hinabfloss, sollte drei Tage lang rot gewesen sein von dem vergossenen Blut der Römer. Er hieß seitdem Sanguinolento – bluttriefend.
Als Matthias Nowak die Geschichte dieser Schlacht zum ersten Mal gehört hatte – es musste im Lateinunterricht gewesen sein –, war es für ihn nur eine geschichtliche Anekdote gewesen. Und auch neulich, aus Rizzos Mund und mit ein paar grausamen Details ausgeschmückt, hatte es ihn nicht weiter gekümmert, denn Geschichte hatte ihn noch nie sonderlich interessiert. Doch diese Römer waren auf eine ähnliche Art und Weise gestorben wie jetzt seine eigene Schwester: blanker Stahl, der durch Haut, Muskeln und Gefäße schneidet, unfassbarer Schmerz und das viele Blut, mit dem das Leben aus dem Körper hinaus fließt. Grausam und sinnlos.
Matthias Nowak griff nach dem Glas, das Caterina ihm herüberreichte, doch er konnte nicht daraus trinken. Die schwere, dunkelrote Flüssigkeit erzeugte Ekel in ihm. Er hörte Schritte hinter sich und ein Räuspern.
»Wer immer Annegret getötet hat, sie werden ihn finden«, sagte Rizzo nah an seinem Ohr.
»Woher willst du das wissen?«, entgegnete Nowak. Er war sich in diesem Moment nicht einmal mehr klar darüber, ob es einen Unterschied für ihn machen würde.
»Unterschätze unsere Carabinieri nicht«, meinte Rizzo mit einem ironischen Auflachen. »Sie werden den Mörder schnappen.«
»Und ich werde Ihnen dabei helfen. Ich habe vor, zur Polizei zu gehen. Das bin ich Annegret schuldig.«
»Tue nichts Unüberlegtes. Voreiliges Handeln hat schon so manchen zu Fall gebracht. Wenn wir unsere Arbeit abgeschlossen haben und aus der Schusslinie sind, kannst du meinetwegen reden, aber vorher …« Er schüttelte nachdenklich den Kopf und ging wieder zum Grill hinüber.
»Ach, darum geht es hier!«, rief Matthias Nowak wütend. »Ich dachte schon, es ginge um meine Schwester.«
»Verdammt, Matthias!«, fuhr Caterina auf. »Du verdrehst alles so, als wären wir Monster und du der Einzige, der um deine Schwester trauert. Immerhin war es deine Idee, Bernhard Löwgen mit hineinzuziehen. Gisberto wollte ihn nicht dabeihaben, und ich auch nicht. Ich habe gleich gesagt, dass
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