Tödliche Nähe
ändern.
Ezra King mochte vielleicht selbst einige Zweifel an den offiziellen Fakten haben – das hätte sie zumindest nicht überrascht.
Und Law Reilly vermutete vielleicht, dass nicht alles so abgelaufen war, wie es in den Berichten stand. Aber bloße Annahmen halfen ihnen kein bisschen weiter, wenn nicht irgendjemand die Angelegenheit einmal genauer untersuchte.
Beziehungsweise sie überhaupt erst einmal in Augenschein nahm .
Mehr wollte sie auch gar nicht tun – mal einen Blick in diesen Wald werfen, sich dort ein wenig umschauen, gucken, ob sie etwas entdeckte, ob ihr irgendetwas auffiel … oder womöglich irgendjemand.
Das Motorrad ließ sie zwischen den vordersten Baumreihen stehen, schließlich wäre es der Situation nicht gerade zuträglich, wenn jemand es entdeckte und den Fund meldete. Zweifelsohne würde Ezra davon erfahren, und Nia wollte verhindern, dass er dort auftauchte.
Der Sheriff würde sofort begreifen, was sie vorhatte.
Besser also, sie wurde nicht erwischt. Die Pistole trug sie in einem Holster unter dem linken Arm – dort war sie einfach zu ziehen und wurde von ihrer leichten Jacke verdeckt. Auch wenn Nia selbst im Schatten der Bäume tierisch heiß war. ›Lieber verschwitzt und lebendig als taufrisch und tot‹, lautete die Parole.
Sie hatte auch einen Kompass dabei und die GPS-Koordinaten für die Stelle, an der ihr Motorrad stand, in ihrem Handy abgespeichert – nein, dies war beileibe nicht ihre erste Wanderung durch die Wildnis. Auf dem Display wurden mehrere Empfangsbalken angezeigt. Solange sie ein GPS-Signal hatte, würde sie sich hoffentlich nicht allzu sehr verirren, am besten natürlich gar nicht.
Sie schlug sich tiefer in das Dickicht zwischen den Bäumen und hielt kurz inne, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Das Waldstück war nicht zufällig von ihr gewählt worden, es lag dicht bei Lenas Haus. Von ihrer Position aus konnte sie die Lichtung mit dem Gebäude jedoch schlecht einsehen. Es lag ein Stück abseits der Straße, und während Nia weiterging, erhaschte sie nur hier und da einen Blick auf weiß gestrichenes Holz, rostrote Fensterläden und leuchtende Blumen.
Unerklärlicherweise versetzte ihr dies einen Stich ins Herz und trieb ihr die Tränen in die Augen.
Sie konnte es förmlich vor sich sehen, wie Joely sich durchs Dickicht kämpfte und verzweifelt das Grundstück zu erreichen versuchte.
Nia konnte die Schritte beinahe hinter sich hören …
Ein Keuchen entfuhr ihr. Sie drehte sich zur Seite, zog die Pistole und schaute sich hektisch um, den Rücken gegen eine hohe Eiche gedrückt. Sie lauschte – war ihr jemand gefolgt?
Nein.
Da war nichts.
Du drehst ganz schön am Rad, Nia.
Sie stieß einen Seufzer aus, schloss kurz die Augen und schaute dann in den Himmel. Während der nächsten dreißig Sekunden beruhigten sich Atem und Pulsschlag allmählich wieder. Als sie sich halbwegs unter Kontrolle hatte, starrte sie wieder in den Wald hinein … und wartete zur Sicherheit noch eine Weile.
Nichts. Kein einziges Geräusch.
Nicht der kleinste Mucks.
Also gut.
Vorsichtig trat sie einen Schritt vor, dann noch einen … bestrebt, sich nicht von den Gedanken an Joely überwältigen zu lassen. Doch das war schwer. Als gäbe es nichts als die Erinnerungen an ihre Cousine, ihre Gedanken, ihre Schmerzen, ihre Qual und ihren Kummer, die von Nia Besitz ergriffen hatten.
Denk daran, warum du hier bist. Konzentrier dich darauf, nicht auf Joely , sagte sie sich.
Aber sie war doch wegen ihrer Cousine dort.
Joelys Leben … aus und vorbei. Ihre Hochzeit, die niemals stattfinden würde.
Diese Träume waren nur noch Schall und Rauch.
Warum?
Wenn Lena tatsächlich Schreie gehört hatte, und wenn es wirklich Joely gewesen war, warum hatte sich das Ganze dann an diesem Ortabgespielt?
Stand hier ein Haus? Gab es irgendeine Hütte, in der er sie verstecken konnte? All diese Frauen?
»Nein«, murmelte sie kopfschüttelnd. Das ergab keinen Sinn.
Davon hätte Sheriff Nielson sicher gewusst und es überprüft, in diese Richtung ermittelt. Sie schauderte, während sie immer weiter in den Wald hineinlief. Bei jedem Schritt raschelte das feuchte Laub auf dem Boden.
Irgendetwas musste hier draußen doch sein.
Sie arbeitete sich tiefer vor, ließ den Blick zwischen den Bäumen umherschweifen und stieg eine Böschung hinab. Unvermittelt knickte der Pfad Richtung Norden ab, fort von dem Rand eines Felsabhangs. Nia blickte sich schnell um, bevor sie sich
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