Toedliche Offenbarung
Würgegriff, wankt und weicht zur Seite aus. Felix nutzt diese Unaufmerksamkeit und versucht, aus dem Bett zu springen. Er stützt sich ab, kommt hoch. Kaum sitzt er, wird ihm schwindelig und er plumpst auf der Fensterseite wie ein nasser Sack auf den Linoleumboden, stößt sich im Fallen noch den Kopf am Nachtschrank.
»Bring dich in Deckung!«, schreit Borgfeld ihm zu. »Verschanz dich hinter der Tür vom Badezimmer.«
Benommen kommt Felix hoch. Er sieht, wie Borgfeld mit Matusch kämpft, hört die ächzenden Laute der beiden. Ein übergewichtiger Polizist mittleren Alters und ein durchtrainierter junger Mann. Die Chancen stehen schlecht für Sonjas Vater. Das ist Felix augenblicklich klar. Er müsste ihm beistehen, aber er weiß, dass er nicht eingreifen kann. Sobald er steht, braucht Matusch ihn nur anzustupsen, dann kippt er um wie eine wackelige Statue. Auf allen vieren kriecht Felix Richtung Badezimmer. Kaum hat er die Tür erreicht, hört er Borgfeld brüllen: »Ergeben Sie sich, Polizei!«
Felix sieht noch, wie Matusch unbeeindruckt sein Messer aus der Tasche zieht.
»Scheiße«, flucht Borgfeld. Warum hat er keine Dienstwaffe dabei? Er ärgert sich über sich selbst – aber wie hätte er ahnen können, dass er sie das erste Mal in seinem Leben brauchen würde?
Klack. Mit einem metallenen Schnappen springt die Klinge aus dem Schaft. Matusch macht einen schnellen Schritt auf Borgfeld zu, doch bevor er bei ihm ist, kommt eine Krankenschwester durch die geöffnete Tür ins Zimmer und will das Notruflicht ausschalten.
»Was gibt es …?«
Sie blickt von links nach rechts. Was sie sieht, irritiert sie. Ihr Gehirn hat Mühe zu verstehen, was ihre Augen nach oben senden. Der junge Mann, der vor wenigen Minuten am Schwesternzimmer vorbeigegangen ist, bedroht einen uniformierten Polizisten mit einem Messer. Beide stehen neben einem leeren Krankenbett. Ihre Augen weiten sich vor Schreck, als sie ihren Patienten auf allen vieren auf dem Fußboden entdeckt. Einordnen kann sie das alles immer noch nicht. Aber sie weiß, dass hier etwas nicht stimmt. Sie dreht sich auf dem Absatz um.
»Hilfe, Überfall!« Immer wieder schreit sie beide Worte in den Flur der Station.
Hat Matusch eben noch geglaubt, die Situation unter Kontrolle zu haben, versetzt ihn ihr Kreischen nun endgültig in Panik. Gehetzt schaut er von Borgfeld zur Krankenschwester, dann zu Felix und wieder zu Borgfeld. Mit dem Messer in der Hand rennt Matusch auf die Krankenschwester zu.
31
Beckmann vergleicht die Eihwaz-Rune auf den Fotos mit den Tätowierungen der jungen Männer im Landschulheim. Die Strichführung ist identisch. Kein Zweifel. Ist es das Gruppenzeichen einer Kameradschaft? Davon gibt es in Niedersachsen etliche. Oder zeigt es nur die Zugehörigkeit zum Schulungszentrum?
Denk anders, ermahnt Beckmann sich. Die Todesrune ist Sinnbild für die Ausdauer des Jägers. Jäger und Gejagte. Passt gut zu den Interviews der Clara Rosenthal. Wollen die Träger dieses Zeichens etwa eine Todesschwadron bilden? Herbert Müller vorneweg?
Mit einer entschlossenen Geste schiebt Beckmann die Fotos weg, als wenn ihm der Abstand weiterhelfen könnte. Er mustert sie erneut, aber in seinem Kopf ist nur Leere.
Was machen die Jungen in diesem Landschulheim, was für einer Ideologie sitzen sie auf? Jäger und Gejagte. Wie weit außerhalb der Gesellschaft müssen sie sich fühlen, um sich zu solchen Gemeinschaften zusammen zu finden?
Beckmann will gerade die Staatsanwältin über die bisherigen Ergebnisse informieren, als sein Handy vibriert. M.
»Hallo Martha!«
Ohne ein liebes Wort, ohne zu fragen, wie es ihm geht und vor allem, ohne zu fragen, was vielleicht in der Zwischenzeit passiert ist, legt Martha los. Im ersten Moment ist er beleidigt. Nach dem zweiten Satz weicht seine Missstimmung jedoch wachsender Besorgnis.
»Was hast du gemacht?« Ungläubig stößt er die Frage aus. »Sag das noch mal!«
Aufgeregt, wenn auch nicht mehr außer Atem, versucht Martha das Geschehen zusammenzufassen.
»Wir waren in der Villa Golter.«
»Stiftung Golter?« Verdammt! Hört sie die Flöhe husten?
»Genau.«
»Wie kommt ihr denn dahin?«
»Mittenwald hatte uns über seinen Freund Mallewitz einen Termin für ein Vorgespräch bei dem Mäzen der »Aufrechten Deutschen« verschafft. Der sucht jemanden, der sein Leben und Wirken formvollendet aufschreibt. Mittenwald hat mich ins Gespräch gebracht.«
»Der Müller von der Stiftung Golter?« Einen Sack
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