Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
hektisch ihr blaues Kostüm und ihr einziges Paar Seidenstrümpfe für besondere Anlässe anzog – und Mutters Eintreffen bedeutete, dass sie George seinen Tee gemacht hatte und dass George bereits am Bahnhof auf sie wartete.
»Ich habe keine Minute mehr Zeit, wenn ich den Zug noch erwischen will«, sagte Marjorie, als sie mit ihren Strumpfbändern kämpfte. Sie hatte sich nicht mehr damit aufgehalten, sich Handschuhe anzuziehen, und war den ganzen Harrison Way bis zum Bahnhof gerannt. Kein Wunder, dass sie atemlos war, als sie in das leere Abteil sank, dessen Tür George schon für sie aufhielt, als sie die Treppe heruntergestürmt kam.
Doch trotz dieses nicht gerade vielversprechenden Beginns wurde der mittlere Teil des Abends zu einem entschiedenen Erfolg. Marjorie schlug vor, in das kleine italienische Restaurant essen zu gehen, wo Millicent mit ihr gewesen war, und George (der kaum ein Restaurant vom andern unterscheiden konnte) willigte ein. Entzückt lächelte sie ihn über den Tisch hinweg an, als der Kellner ihnen, in romantisch gebrochenem Englisch, gewisse Speisen empfahl. Es war sehr viel aufregender, mit einem gut aussehenden jungen Mann imWestend essen zu gehen als mit Millicent Dunne, die mit ihr zur Schule gegangen war. Auf Marjories Vorschlag hin tranken sie Chianti. Marjorie hätte keinen anderen Wein nennen können als Chianti, Portwein und Champagner, und sie wusste, dass Letzterer sehr teuer war, während Portwein bloß etwas war, das Abstinenzler in Pubs tranken. Sowohl Verstand als auch Erfahrung sagten ihr, dass es Chianti war, den man im Westend zum Abendessen trinken sollte und den alle tranken.
Es war wunderbar romantisch, Rotwein zu trinken und Horsd’œuvres zu essen – eine Auswahl von einem Dutzend verschiedener Gerichte auf einmal auf dem Teller zu haben. Den ganz eigenen Reiz dessen zu analysieren wäre schwierig gewesen, selbst wenn Marjorie es versucht hätte, was sie natürlich nicht tat. Dann Schollenfilet und etwas Huhn und ein Eis; schließlich eine Tasse Kaffee und eine von Georges Zigaretten – zum ersten Mal in ihrem Leben genoss Marjorie eine Zigarette wirklich –, sie hatte bisher nicht mehr als zwei Dutzend in ihrem Leben geraucht. Begeistert hakte sie sich bei George unter, als sie auf den belebten Gehweg hinaustraten. Das war Romantik pur, das Leben, so wie es gelebt werden sollte, und George war ein wunderbar kluger Mann, dass er die Idee gehabt hatte auszugehen. Sie hatten Sitzplätze für drei Shilling, sechs Pence in einem Kino und sahen einen Film, den Marjorie sehen wollte; und es war ihr eine besondere Freude, dass die unbedarften Leute in den Vorstädten noch zwei, drei Monate warten mussten, bevor er dort in den Kinos gezeigt werden würde.
Alles schien genau richtig zu laufen. Sogar im Zug nach Hause waren sie nach der Hälfte des Weges allein im Abteil, und Marjorie konnte sich George in die Arme werfen und ihm noch einmal sagen, wie sehr sie sich vergnügt hatte undwie sehr sie ihn liebte, und sie konnten sich küssen, wild und leidenschaftlich. Und während sie sich so aneinanderklammerten, Lippe an Lippe, schwand die Freude des Abends allmählich dahin. Es waren diese rasenden, trunkenen Küsse, mit denen die Probleme erneut begannen. Zweimal mussten sie sich voneinander lösen, als der Zug an Bahnhöfen anhielt, und jedes Mal kehrte Marjorie in seine Arme zurück, ihr schlanker Körper weich vor Hingabe und ihre Knie an den seinen.
Sie waren ganz benommen von Leidenschaft, als sie aus dem Zug stiegen und die Stufen zur Simon Street hinaufstiegen. George zog sie in die Dunkelheit des Trampelpfads an den Eisenbahnschienen.
»Es könnte uns jemand sehen!«, protestierte Marjorie schwach, doch im nächsten Augenblick lag sie schon wieder in seinen Armen.
»Oh, ich will dich nicht verlassen, Liebling«, flüsterte sie. »Ich will nicht nach Hause gehen müssen.«
Sie goss Öl in sein Feuer mit dem, was sie ihm da sagte. Ted hatte ihr vor Jahren in den Flitterwochen beigebracht, wie man die Leidenschaft eines Mannes entfachte. Jetzt tat sie es instinktiv, und die Beredsamkeit ihrer Lippen wurde noch unterstützt von ihrem nachgiebigen Körper, der versprach, was nicht in Worten ausgedrückt werden konnte.
»Wäre es nicht schön, Liebster«, sagte sie, »wenn ich dich nicht verlassen müsste? Wenn wir die Nacht zusammen verbringen könnten? Würde dir das gefallen, Liebster? Möchtest du mit mir schlafen?«
»Ja – oh ja«, erwiderte
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