Tödliche Schatten (Romantik-Thriller / Unheimlich) (German Edition)
dieser Aufforderung.
Stufe für Stufe schritt sie die Treppe zur Halle hinunter. Wie oben brannte auch hier ein kleines Licht. Es verwandelte die Möbel, Ritterrüstungen und Bilder in dunkle Gestalten, die nur darauf zu warten schienen, sich auf denjenigen zu stürzen, der es wagen würde, sich ihnen zu nähern.
Cynthia zögerte einen kurzen Augenblick. Sie fühlte, daß der Schatten, den sie immer wieder zu sehen glaubte, und dieses "Komm!", das sie gehörte hatte, von zwei verschiedenen Personen stammte.
"Komm!" erklang es erneut. "Nur Mut, Täubchen." Sie glaubte, ein meckerndes Lachen zu hören.
Cynthia wollte der Stimme nicht weiter folgen, aber sie konnte nicht anders. Sie durchquerte die Halle und betrat einen kurzen Gang, der vor einer schweren Tür endete. Es kostete sie Mühe, sie zu öffnen.
Vor ihr lag die Schloßkapelle. Die junge Frau hatte keinen Blick für die herrlich bemalten Fenster, die wertvolle Polsterung der Bänke. Sie schaute nur nach vorn. Ein Frösteln rann über ihren Rücken.
Vor dem Altar standen die geschlossenen Särge von Matthew und Louisa. Das Licht der Kerzen, die seitlich von ihnen brannten, warf lange Schatten auf den Altar. Brian kniete vor den Särgen. Er schien so in sein Gebet vertieft, daß er nicht einmal spürte, wie Cynthia auf ihn zuging.
Erst als ihn die junge Frau fast erreicht hatte, drehte er sich um. "Cynthia, was tust du denn hier?" fragte er und stand auf. "Ich dachte, du würdest schlafen." Sein Gesicht war von dem Kummer gezeichnet, den er empfand.
"Ich weiß es nicht, Brian", antwortete sie. "Eine Stimme hat mich in die Kapelle gelockt."
"Eine Stimme?" Er berührte ihr Gesicht. "Meine Sehnsucht wird es gewesen sein. Ich..."
Cynthia hörte die Stimme ihres Verlobten nur noch im Unterbewußtsein. Sie starrte auf die Särge. Wie von Geisterhand öffneten sich quietschend ihre Deckel und stürzten mit einem lauten Knall auf den Steinboden. Sie schrie entsetzt auf, als sie sah, was die Explosion von Brians Familie übriggelassen hatte. Aufschluchzend verbarg sie ihr Gesicht in den Händen.
"Darling, was hast du?" Der Schloßherr schloß seine Verlobte fest in die Arme.
"Die Särge", antwortete Cynthia, ohne die Augen zu öffnen. "Hast du es nicht bemerkt? Die Deckel sind aufgesprungen." Sie spürte, wie sie am ganzen Körper zu zittern begann. Noch immer glaubte sie, die Toten zu sehen.
Brian schüttelte den Kopf. "Darling, deine Phantasie geht mit dir durch. Die Särge sind noch immer geschlossen. Sie werden auch nicht mehr geöffnet."
"Aber ich habe es doch ganz deutlich gesehen." Cynthia zwang sich, die Augen zu öffnen und ihren Blick wieder den Särgen zuzuwenden. "Das gibt es doch nicht", murmelte sie. "Das kann doch nicht sein." Sie sah zu ihm auf.
"Du bist übermüdet. Es war ein langer Tag. Du solltest endlich wieder schlafen gehen", meinte Brian McArthur. Er küßte sie auf die Stirn. "Ich bringe dich auf dein Zimmer zurück." Er warf einen letzten Blick zu den Särgen. "Auch für mich wird es Zeit. Ich wollte nur alleine von meinem Bruder und meiner Schwägerin Abschied nehmen. Morgen sind zu viele Menschen dabei." Wehmütig berührte er die beiden Särge, dann verließ er mit seiner Verlobten die Kapelle.
15. Kapitel
Am nächsten Vormittag um elf fand die Beisetzung von Matthew und Louisa McArthur statt. In der kleinen Schloßkapelle wurde ein Gottesdienst abgehalten, an dem außer der Familie und dem Personal auch viele Leute aus der Umgebung teilnahmen.
Der Gärtner und seine Gehilfen hatten alles getan, um die Kapelle in ein wahres Blumenmeer zu verwandeln. Viele der Leute weinten. Matthew und seine Frau waren sehr beliebt gewesen. Die meisten von ihnen konnten es nicht fassen, daß die beiden so jung hatten sterben müssen.
Unter den Trauernden befand sich auch Patricia Harris, die hübsche Tochter des Familienanwaltes. Cynthia fand sie vom ersten Augenblick an unsympathisch, obwohl sie ihr von ihrem Verlobten als Jugendfreundin vorgestellt worden war. Dabei konnte sie nicht einmal sagen, was ihr an der jungen Frau so mißfiel, denn Patricia gab sich alle Mühe, freundlich und zuvorko mmend zu sein. Aber hinter ihren blauen Augen schien etwas zu liegen, das Cynthia Angst machte.
Während des Gottesdienstes mußte sie immer wieder über Patricia nachdenken. Verstohlen beobachtete sie die junge Frau. Dann wurde ihr plötzlich bewußt, daß ihr Patricia das Gefühl gab, ihres Bleibens sei hier ohnehin nicht von langer Dauer,
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