Tödliche SMS (German Edition)
haben.“
Andrea hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Warum konnte sie nicht einfach die Klappe halten? Was sollte sie sagen? Sie wollte nicht, dass Max wusste, dass der Inspektor letzte Nacht bei ihr war. Er würde falsche Schlüsse ziehen, sie deshalb aufziehen oder unangenehme Fragen stellen.
Diese Gedanken schossen durch Andreas Kopf, während sie weiter um Schadensbegrenzung bemüht war.
„Reiner Zufall, die hatten in der Nähe was zu erledigen, deshalb war dieser leitende Beamte dabei. Bauer … ich glaube, so heißt er.“ Es wurde Zeit, die Kurve zu kratzen, das Thema wieder in eine andere Richtung zu lenken.
„Was ist jetzt mit Frühstück? Oder musst du zum Friedhof?“
„Nein, muss ich nicht. Halb elf Café Stein“, brummte er, dann legte er auf.
Eine Stunde später stieß Andrea die Glastür ins Café auf und trat ein. Das Lokal war menschenleer. Auch hier spürte man den Feiertag der Toten, denn normalerweise bekam man an einem Sonntag oder einem der anderen Feiertage um diese Uhrzeit kaum mehr einen Stehplatz. Heute saßen nur vereinzelt Studenten oder übrig gebliebene Nachteulen beim Frühstück. Zwei junge Frauen stiegen die Stufen vom Obergeschoß herab und drängten sich an ihr vorbei ins Freie.
Sie wählte einen Fenstertisch im unteren Geschoß. Von diesem Platz aus konnte sie die Währinger Straße entlang bis zur U-Bahn-Station Schottentor sehen. Eine Frau im Park auf der gegenüberliegenden Seite nahm auf einer Bank Platz, während eine Handvoll Asiaten mit der Linse ihrer Fotoapparate auf den sichtbaren Turm der am Ende des Parks liegenden Votivkirche zielten. Außerdem hatte sie von hier aus den Eingang gut im Blick, würde sofort mitbekommen, wenn Max das Café betrat.
Ein junger Kellner kam und sie bestellte ein großes Frühstück mit Tee, Ei und Orangensaft. Die Übelkeit war nun vollständig aus ihrem Körper gewichen und hatte einem Hungergefühl Platz gemacht. Katerstimmung.
Vom Nebentisch schnappte sie sich die aktuellen Tageszeitungen. Jetzt war sie bereit für die Presseartikel über Silkes Tod. Von den Titelseiten war sie verschwunden. Andrea schlug die Zeitungen auf. Das Schicksal ihrer Freundin war auf Seite drei oder fünf verbannt worden. Es war skurril. Am Montag hatteSilke noch Schlagzeilen gemacht, jetzt, zwei Tage später, hatten die Redakteure schon über das nächste große Drama zu berichten. Und an einem Tag wie diesem gehörten die Blätter sowieso zum Großteil dem Tod in all seinen Facetten, bis hin zum Tierfriedhof für die Lieblinge der Reichen und Schönen.
Sie hatte recht. Der Kommentar des Chefredakteurs eines der Blätter befasste sich mit dem Thema: „Wie geht unsere Gesellschaft mit dem Tod um?“
Darunter war in einem Extrakasten der Liedtext vom Lieben Augustin zu lesen. Andrea hatte auf beides keine Lust und blätterte weiter. Auf der Seite fünf fand sie einige Zeilen über den Mord an Silke. Unter der Schlagzeile „Mord an Regieassistentin noch nicht geklärt“ stand in wenigen Worten der aktuelle Stand der Dinge. Um dem Artikel die notwendige Würze zu verleihen, war im Anhang auch noch gleich eine Statistik mit den Morden im Filmmilieu der letzten Jahre abgedruckt und eine Rückblende auf zwei Fälle aus den Neunzigern. Zwei Regisseure waren etwa zur gleichen Zeit zu Mördern geworden. Trotzdem mutmaßte Andrea, dass sie in einer ähnlich gefährlichen Branche arbeitete wie alle anderen Menschen, Polizisten mal ausgenommen.
Während sie noch andere Zeitschriften nach Artikeln über Silkes Tod durchblätterte, betrat Max das Lokal. Er sah noch immer verschlafen aus, aber durchaus attraktiv. Seine Haare standen vom Kopf ab. Er trug eine dunkle Sonnenbrille. Missmutig ließ er sich auf einen freien Sessel neben Andrea fallen. Das Frühstück wurde gebracht. Stumm deutete Max dem Kellner, dass er das Gleiche haben wollte. Während Andrea ihr Ei von der Schale befreite, sagte sie: „Du siehst aber nicht frisch und munter aus.“
„War bis spätnachts im Studio. Hab mir die einzelnen Szenen noch mal durchgesehen. Morgen beginnt der Schnitt. Hab gehört, dass du Gerhards Angebot angenommen hast.“
„Hm“, machte Andrea. „Wenn ich schon in Wien bleiben muss, dann kann ich auch was für mein Konto tun.“
Ein paar Passanten schlenderten auf dem Bürgersteig vorbei, offensichtlich ohne eindeutiges Ziel. Im Vorbeigehen sahen sie beiläufig durch die Glasscheibe ins Café und lächelten Andrea an.
Touristen.
Der Kellner
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