Tödliche SMS (German Edition)
fühlten sich wie Stricke an, die ihr ins Fleisch schnitten. Sie war allein, und sie war nackt, wie Silke. Eine grausame Erinnerung blitzte auf: die durchschnittene Kehle, das Blut und die leblosen Augen.
Das Klebeband über ihrem Mund hinderte sie am Schreien.
Wie ein Kind kniff sie die Augen fest zu, so als würde sich dadurch ihre Situation ändern. Sie sträubte sich gegen ihre Fesseln,versuchte sie zu lockern. Nach wenigen Sekunden gab sie auf, sie war fest angebunden, hatte keine Chance loszukommen.
Sie zwang sich dazu, ihre Umgebung genauer in Augenschein zu nehmen. Vielleicht fand sie irgendwo einen Hinweis auf ihren Peiniger. Aber alles, was sie sah, waren Silkes Bilder. Sie lehnten aneinandergereiht an der Wand und …
Mühsam reckte sie noch einmal den Hals, damit sie besser hinsehen konnte, wünschte sich jedoch, es nicht getan zu haben. Zwischen den gemalten Bildern von Silke standen plötzlich Collagen, die sich bei näherem Hinsehen als Fotoserien entpuppten. Sie waren nach einem gewissen System gereiht. Insgesamt waren es rund hundert Fotos, angeordnet nach Monaten und Jahren, und obwohl der Hintergrund und die Szenen variierten, zeigten sie doch immer das gleiche Motiv: sie und Silke.
Eindeutig, die Aufnahmen waren in den letzten Jahren entstanden. Sie und Silke beim Einkaufen, bei der Arbeit und in ihrem Wohn- und, was das Schlimmste war, auch in ihren Schlafzimmern.
Andrea konnte sich darauf keinen Reim machen.
Was ging hier vor?
Wer hatte sie all die Jahre heimlich beobachtet, wer hatte sie durch ihre Wohnungsfenster fotografiert und wer zum Teufel hatte sie hierhergebracht?
Sie ließ ihren Kopf wieder auf die Tischplatte sinken.
Mühsam versuchte sie sich die letzten Stunden in Erinnerung zu rufen. Da waren Harry und Sally, Remo, den sie nicht erreichen konnte, und Michael Kogler, der sich ihrer annahm. An mehr konnte sie sich beim besten Willen nicht mehr erinnern.
Wie und wann war sie nach Hause gekommen?
War sie überhaupt wieder nach Hause gekommen?
Wen hatte sie getroffen, nachdem sie Kogler verlassen hatte?
Chris? Gerhard? Monika?
Während sie so verdammt machtlos auf dem Tisch lag, verfluchte sie ihr Misstrauen Remo gegenüber. Warum hatte sie ihm nicht von Chris erzählt? Warum hatte sie nicht auf ihre Mutter gehört und war einfach nach Hause gefahren?
Wie zum Teufel würde dieser Alptraum enden?
Das Foto in Max’ Briefkasten vor einem Jahr fiel ihr wieder ein.
Noch einmal zwang sie sich, die Serie von Fotos anzusehen. Sie waren alle unscharf und leicht verschwommen. Aber vielleicht konnte sie trotzdem auf einem der Bilder erkennen, mit wem Silke Max betrogen hatte.Vielleicht ein Hinweis. Ob ihr dieses Wissen einen Vorteil bringen würde, bezweifelte sie. In dem Bewusstsein, dass Silke bereits tot war, bevor ihr das Messer an die Kehle gesetzt wurde, tastete ihr Blick schnell jede Einzelheit auf den Fotos ab. Sie erschrak, als sie Fotos von sich und Remo Bauer entdeckte. Sie küssten sich innig. Wann waren die geschossen worden? Gestern? Vorgestern? Heute?
Allmächtiger, hilf mir!
Die letzte Fotoserie zeigte Silke. Sie lag auf dem Tisch, die Augen geschlossen. Das Leintuch weiß. Und dann … Andrea erstarrte. Dieses Schwein hatte seine schreckliche Tat dokumentiert und in Bildern festgehalten. Das letzte Foto zeigte Silke voller Blut und tot. Ihr Leichentuch, rot.
Daneben stand eine weitere Leinwand. Nackt und leer starrte sie ihr entgegen, nur in fetten Druckbuchstaben stand ihr Name darauf geschrieben: Andrea Reiter.
Wann würde ihre Zeit kommen? Verzweiflung ergriff sie.
Würde sie wenigstens ein bisschen Kraft aufbieten können im letzten Kampf auf Leben und Tod? Ihr Brustkorb krampfte sich zusammen, wurde zu einem Stein. Ihr Herz begann heftig zu schlagen. Sie kannte dieses Gefühl einer aufsteigenden Panikattacke. Der Wunsch zu fliehen zerriss fast ihren Körper,Atemnot war die Folge. Aber sie wusste auch, dass es wieder aufhören würde, denn sie hatte es schon oft genug erlebt.
Einatmen. Ausatmen. Denk positiv!
Wenige Minuten später hatte sie sich wieder im Griff. Stille und Leere hatten der Angst Platz gemacht.
Mit Hilfe des Tageslichts, das durch die Rollos in den Raum fiel, versuchte sie die Uhrzeit zu schätzen. Die Schatten wurden länger, demnach musste es inzwischen später Nachmittag sein. Nur welcher Tag war, das wusste sie noch immer nicht, weil sie keine Ahnung hatte, wie lange sie geschlafen hatte.
Das Geräusch eines Schlüssels in einem
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