Tödlicher Applaus
sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Etwas drückte an sein rechtes Ohr. Die Maurerkelle, sie hatte hinter dem Mörteleimer gelegen. Sein Blick wanderte zu Hans, der abwesend auf den Boden starrte. Er schien sich beruhigt zu haben und nicht mit einem weiteren Angriff von Rudi zu rechnen.
»Das würde ich ja gerne, Rudi, aber ich kann nicht. Ich habe das Telefon nicht mehr, das die Programmierung steuert. Lass ein bisschen Zeit ins Land gehen, dann wirst du einsehen, dass ich das Richtige getan habe, und mir dafür dankbar sein. Ich tue das für uns beide, Rudi. Wir sind doch Brüder.«
Rudi legte eine Hand an die Stirn und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, um seine eigentliche Absicht zu vertuschen, sodass Hans einen Augenblick zu spät bemerkte, was sein Bruder vorhatte. Und dann überschlug sich alles:
Hans stürzt sich auf Rudi, der ihn mit der Kelle in der vorgestreckten Hand angreifen will, aber auf dem Mörtel ausgleitet. Alles geht so schnell, dass es schon vorbei ist, ehe man verstanden hat, was geschehen ist. Die Maurerkelle versinkt mit einem schmatzenden Geräusch in Hans’ Bauch. Es klingt, als würde einem Fisch der Bauch aufgeschlitzt.
Hans’ Blick, als er begreift, was geschehen ist.
Der Schmerz, der mit drei Sekunden Verzögerung einsetzt.
Rudis Blick, hilflos, zum ersten Mal in seinem Erwachsenenleben.
Er greift nach seinem Bruder, aber da ist nichts mehr zu greifen. Rudi versucht, einen klaren Kopf zu bewahren, aber seine Gedanken wirbeln durcheinander wie Blätter im Sturm. Er spürt, wie ihm die Sinne schwinden. Dunkelheit senkt sich über ihn, und er fällt und fällt und fällt.
Countdown
Kommissar Lochmann wartete ungeduldig darauf, dass sich die Taxizentrale meldete. Schlussfolgerungen gehörten zu seinen Stärken, und es würde ihn sehr wundern, wenn seine Nachfrage ergebnislos bliebe. Er hatte keine Bedenken, die Order auszuführen, die er von oberster Stelle inoffiziell erhalten hatte. Tom Hartmann sollte »aus dem Kreislauf entfernt« werden, wie Lochmanns Vorgesetzter es salopp formuliert hatte. Hartmann war ein toter Mann, das war nur eine Frage der Zeit.
Lochmanns Handydisplay leuchtete auf. Er antwortete, noch bevor der Klingelton einsetzte.
»Wir haben einen Match bei einem Taxi auf dem Weg nach Langenlois.«
Lochmanns linke Hand fuhr automatisch zu seiner Pistole, die er unter der rechten Achsel trug. Er tätschelte sie zärtlich, als wolle er damit die erfreuliche Nachricht bekräftigen. Lochmanns Glock 22 vom Kaliber ‚40 S&W war eine etwas schlagkräftigere Waffe als die gewöhnliche Glock 17 mit 9-Millimeter-Parabellum-Geschossen. Darüber hinaus war sie ungewöhnlich verlässlich. »Wie weit von hier?«
»Etwa fünfzig Fahrminuten von der Staatsoper. Die Taxinummer lautet A733.«
Lochmann war mit einem Satz im Wagen. Hoch konzentriert und mit knappen Befehlen verteilte er die Aufgaben per Polizeifunk. Dann setzte er das Blaulicht aufs Dach und schnurrte über den Ring Richtung Franz-Horr-Stadion. Oberst Waringer klebte ihm an den Felgen. Im Stadion warteten Helikopter mit einer Einsatztruppe, um sie auf schnellstem Weg nach Langenlois zu fliegen. Danach galt nur noch: Diskretion und nochmals Diskretion.
Am liebsten hätte Lochmann die Operation auf eigene Faust durchgeführt. Dann hätte er die volle Kontrolle über ihren Ablauf und könnte Hartmann problemlos zum Schweigen bringen. Oberst Waringer stellte definitiv ein Problem dar. Trotzdem musste er versuchen, sich persönlich um Hartmann zu kümmern. Wenige Menschen hatten Lochmann bisher so provoziert wie dieser irre Skandinavier.
Aïda
Absolute Dunkelheit umgab Cathrine. Sie sah nicht einmal ihre eigenen Hände. Wie lange würde der Sauerstoff reichen? Eine Stunde? Einen Tag? Sie hatte keine Ahnung. Es war also ihre Bestimmung, die Zeit, die ihr noch blieb, in einem überdimensionalen Sarg aus Hohlblocksteinen und Mörtel zu verbringen.
Mit diesem Gedanken kam die Angst, überrollte sie wie eine Druckwelle und machte jede Hoffnung zunichte. Sie schrie so laut, dass sie das Gefühl hatte, ihre Stimmbänder würden reißen. Sie konnte nicht aufhören zu schreien und zerrte an den Handschellen, die sich aber nur tiefer in ihr Fleisch schnitten. Ihre Kehle war wund, und die Schreie gingen in ein heiseres Husten über. Blutgeschmack füllte ihren Mund. Du verbrauchst zu viel Sauerstoff, ermahnte sie sich, atme ruhig.
Cathrine war von Natur aus eine Kämpferin. Trotz der lähmenden
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