Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
Vom Netzwerk:
nicht, dass Medina da gar nicht gesungen hat.«
    »Das solltest du aber wissen.«
    »Tja, schon möglich, aber jetzt weiß ich es ja. Nicht jeder liebt die Oper so wie du.«
    »Das ist doch total elementar. Das weiß jeder Busfahrer!«
    »Willst du streiten?«
    »Nein.«
    »Wenn er nicht sang, dann hat er den Kopf vermutlich ziemlich gerade gehalten, oder?«
    »Ich kann es nicht beschwören, aber ich meine, er hat den Kopf nach hinten geneigt, auch wenn er nicht gesungen hat.«
    »Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
    »Warum hast du mich verlassen?«
    »Bitte, wie viel hast du denn getrunken?«
    »Immer ein Glas zu wenig. Er hatte den Kopf nach hinten geneigt.«
    »Dann war der Schütze auf dem dritten Balkon. Da oben haben wir sechs Plätze, die wir nicht zuordnen können. In derselben Reihe ganz rechts.«
    »Und im Krankenhaus? Hat man da etwas gefunden?«
    »Der Bericht ist noch nicht fertig, aber irgendwie ist Luft durch die Schläuche und in sein Blut gelangt. Das kann ein weiteres Attentat gewesen sein, und wenn dem so ist, sind vermutlich mehrere Personen in die Tat verwickelt. Aber niemand im Krankenhaus kann sich an irgendetwas Ungewöhnliches erinnern.«
    »Kannst du auch mal den Namen Francesco Arpata eingeben?«
    »Wer ist das?«
    »Verdammt, Cathrine, über den habe ich im Laufe unserer Ehe mindestens dreißig Mal gesprochen! Jedenfalls ist das nicht Kamarovs Fahrer. Gib den Namen einfach mal ein.«
    Tom legte auf und leerte sein Glas.
     

The Making of
    Eine Epoche ist zu Ende, dachte Kamarov, als sich die Nachricht von Medinas Tod allmählich in seinem Inneren ausbreitete. Er sah sich um, wie um sich zu vergewissern, dass niemand seine Gedanken lesen konnte. Es war ganz still im Büro, wenn die solide Tür geschlossen war. Kamarov sank auf das Sofa und schloss die Augen, kam aber nicht zur Ruhe. Medinas Tod weckte heftige Erinnerungen. Bilder und Situationen, die er vergessen gewähnt hatte, schossen ihm entgegen wie ein silbrigglänzender Fischschwarm in kristallklarem Wasser. Intensiv gegenwärtig, trotz des Abstandes, den die Zeit zwischen sie gelegt hatte.
    Es war zweiundzwanzig Jahre her, dass er sein erstes, bescheidenes Büro in der Gumpendorferstraße gemietet hatte. Als einzige Extravaganz hatte er sich ein dickes Messingschild mit der Aufschrift »Kamarov Management« geleistet. Sobald das Schild hing, hatte er ein rigides Trainingsprogramm für James Medina aufgestellt. Victor wollte aus dem schwammigen, zur Trägheit neigenden Tenor einen sexy Opernstar machen. Er meldete ihn in einem Schauspielkurs an und verlangte, dass er Ballettstunden nahm und im Fitnessstudio trainierte. James’ Begeisterung hielt sich in Grenzen. Aber Victors Energie und Entschlossenheit fegten jeden Widerstand einfach beiseite.
    Die gleiche Angriffslust zeigte er bei Medinas Vermarktung. Kamarovs Strategie bestand darin, die europäische Opernwelt flächendeckend mit Rundschreiben und Broschüren zu bombardieren, in denen er den aufgehenden Tenorstern am Opernhimmel präsentierte. Kein Opernhaus war ihm zu klein, keins zu groß. Er stellte sogar gefakte Repertoirelisten und einen Lebenslauf zusammen, der all das enthielt, was James in Amerika gemacht hatte, bevor er nach Wien gekommen war. Das meiste davon war schlichtweg gelogen. Medina hatte vehement gegen derartige Methoden protestiert, doch Victor hatte nur gelacht.
    »Glaubst du, die anderen lügen nicht?«, konterte er. »Wir müssen deine Biografie ein wenig aufpolieren und den Opernintendanten helfen, die richtige Wahl zu treffen. Das sind keine Lügen. Allenfalls weiße Lügen, kleine, harmlose Schwindeleien. Ohne Meritenliste bist du für die Intendanten nur ein unerfahrener Sänger. Schaffen wir die Illusion, dass du bereits auf eine solide Bühnenerfahrung zurückgreifen kannst, werden sie hören, was ich höre, und sehen, was ich sehe: einen Weltstar!«
    Victor war vom Sofa aufgesprungen, rieb nun geistesabwesend an einem Fleck auf der frisch polierten Schreibtischplatte, schüttelte bedächtig den Kopf und lächelte. Wie naiv er gewesen war! Und wie brutal er sich verschätzt hatte! Er nahm einen kostbaren Füllfederhalter und machte sich Notizen, die er später an Tom Hartmann weitergeben wollte. Hatte er den Opernkritiker zu nah an sich herangelassen? Sein Instinkt behauptete, nein. Vertrauen erforderte Kontrolle, und er hatte das Gefühl, in dieser Hinsicht mit Hartmann ein Stück weitergekommen zu sein.
    Die Erinnerungen stürmten schneller

Weitere Kostenlose Bücher