Tödlicher Champagner (German Edition)
trügerisch sein. Wie oft hatte sie in den letzten Wochen etwas vorgetäuscht? Nicht vorgetäuscht, etwas zu fühlen, sondern vorgetäuscht, nichts zu fühlen? Pandora war eine Frau, die sich stets etwas auf ihre Ehrlichkeit eingebildet hatte. Wahrheit und Unabhängigkeit gingen nach Pandoras Wertvorstellungen Hand in Hand. Aber sie hatte immer und immer wieder sich selbst belogen – die schlimmste Form von Betrug.
Der Zeitpunkt, damit aufzuhören, war gekommen. Der Zeitpunkt, sich ihren wahren Gefühlen zu stellen, wenn auch nur in der Abgeschiedenheit ihres eigenen Herzens und ihres Verstandes.
Wie lange liebte sie Michael schon? Während sich die Frage in ihren Gedanken formte, musste sie aufstehen und in ihrer Werkstatt herumgehen. Wochen? Monate? Jahre? Sie konnte es nicht beantworten, weil sie sich nicht sicher war. Aber sie war sicher, dass sie ihn liebte. Wenn sie liebte, dann grenzenlos. Vielleicht war das ihr größtes Problem. Kam es nicht einer Art von Selbstmord gleich, Michael grenzenlos zu lieben?
Besser, sie sah den Tatsachen ins Gesicht. Kein Problem wurde gelöst, wenn man nicht vorher die Tatsachen erkannte und sie danach untersuchte. Ganz gleich, wie sehr sie sich dadurch zum Narren machte, sie liebte Michael. Sie liebte ihn mehr als ihr recht war. Pandora wischte die beschlagene Fensterscheibe blank und blickte nachdenklichauf den Schnee hinaus. Seltsam, sie hatte wirklich geglaubt, sie würde sich besser fühlen, sobald sie die Tatsachen akzeptierte. Sie fühlte sich aber nicht besser.
Welche Möglichkeiten hatte sie? Sie konnte es Michael sagen. Und er wird selbstzufrieden strahlen, dachte Pandora mit einem finsteren Stirnrunzeln, ehe er sich an seine nächste Eroberung macht. Sie war ganz bestimmt nicht so dumm, zu glauben, er sei an einer lang dauernden Beziehung interessiert. Ich bin natürlich auch nicht daran interessiert, dachte sie und begann, ihr Werkzeug geräuschvoll aufzuräumen.
Eine andere Möglichkeit war, davonzulaufen. Was ihre Verwandten mit ihrer ganzen Bösartigkeit nicht erreicht hatten, konnte ihrem Herzen gelingen. Doch dann wäre sie nicht nur ein Feigling, sondern auch ein Verräter gewesen. Nein, sie konnte und wollte Onkel Jolley nicht im Stich lassen. Sie konnte nicht fliehen. Und somit blieb ihr nur eine Möglichkeit: Sie musste so weitermachen wie bisher. Sie musste bei Michael bleiben, mit Michael schlafen, alles mit Michael teilen – alles, ausgenommen ihr Herz. Sie musste die zwei Monate, die ihnen noch verblieben, hinnehmen und sich darauf vorbereiten, ohne Bedauern wegzugehen.
Michael war an sie herangekommen, das musste Pandora zugeben. Er war an Tiefen in ihr herangekommen, die kein Mann vor ihm berührt hatte. Sie liebte ihn dafür. Sie hasste ihn dafür.
Ihre Stimmung war so aufgewühlt wie ihre Gedanken, als sie die Werkstatt verschloss und quer über den Rasen stapfte.
„Da kommt sie.“ Mit einem neuen, fertig ausgearbeiteten Plan im Kopf wandte Sweeney sich von dem Küchenfenster ab und gab Charles ein Zeichen.
„Das kann niemals funktionieren.“
„Natürlich wird es funktionieren. Wir werden diese beiden Kinder zu ihrem eigenen Vorteil zusammenbringen. Zwei Menschen, die sich so viel zanken wie die beiden, müssen heiraten.“
„Wir mischen uns in Dinge ein, die uns nichts angehen.“
„Was für ein Unsinn!“ Sweeney nahm ihren Platz am Küchentisch ein. „Wer sollte sich denn sonst einmischen, wenn nicht wir? Wer wird sich denn mit diesem riesigen leeren Haus herumschlagen, sobald die beiden in die Stadt zurückkehren, wenn nicht wir? Nimm jetzt dasTuch und fächle mir Luft zu! Beug dich etwas über mich und mach ein aufgeregtes Gesicht.“
„Ich bin zu aufgeregt“, murmelte Charles und griff nach dem Tuch.
Als Pandora die Küche betrat, sah sie Sweeney nach hinten gekippt auf einem Stuhl hängen, die Augen geschlossen. Charles stand über sie gebeugt und fächelte ihr mit einem Trockentuch Luft zu.
„Um Himmels willen, was ist los? Charles, ist sie ohnmächtig geworden?“ Bevor er antworten konnte, stürmte Pandora schon durch den Raum. „Rufen Sie Michael“, befahl sie. „Rasch, rufen Sie Michael!“ Sie schob Charles weg und kauerte sich nieder. „Sweeney, ich bin es, Pandora. Haben Sie Schmerzen?“
Sweeney konnte kaum einen zufriedenen Seufzer unterdrücken, als sie die Lider flatternd hob. Sie hoffte nur, blass auszusehen. „Ach, kleine Miss, machen Sie sich keine Sorgen. Nur einer von meinen Anfällen, sonst
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