Toedlicher Hinterhalt
musste lachen – darin steckte eine solche Ironie. Normalerweise war er derjenige, der ging. Und bis zu diesem Augenblick hatte er nie nachvollziehen können, wie es sich anfühlte, zurückgelassen zu werden. Es war ärgerlich und frustrierend zugleich. Er fühlte sich betrogen und unglücklich darüber, hoffte aber trotzdem, dass sie bald wieder bei ihm sein würde.
Andererseits hatte er natürlich vollstes Verständnis dafür, dass ihr Beruf es erforderte, von jetzt auf gleich aufzustehen und zu gehen. Auf gar keinen Fall würde er nun jammern und ihr Schuldgefühle machen. Er zog die Decke bis zu seinem Bauch hoch, um den eindeutigen Beweis seiner Begierde zu verbergen, und stützte sich auf einen Ellbogen.
Kelly drehte sich um und sah ihn an, als wäre ihr gerade wieder eingefallen, dass er noch da war. »Warte mal kurz, Pat.« Sie hielt den Hörer zu. »Es geht um Betsy. Ihre Chemo ist heute losgegangen, und offenbar hat ihr der Onkologe ein Mittel gegen Übelkeit gegeben, das nicht anschlägt. Sie hat die ganze letzte Stunde Blut gespuckt und ihre Eltern sind zu Tode erschreckt. Ich muss wirklich –«
»Unbedingt«, erwiderte er. »Geh. Mach dir keine Gedanken. Joe und ich halten deinen Dad in Schach.«
Sie atmete erleichtert auf. »Vielen Dank.« Sie nahm die Hand vom Hörer. »Pat, sag ihnen, dass ich so schnell wie möglich komme.«
Sie legte auf und zog sich ein dunkles T-Shirt über. »Es tut mir echt leid.«
»Sieh es einfach so, dass du etwas hast, worauf du dich freuen kannst. Und später heute Abend, wenn wir dann die Gelegenheit haben sollten … Oh, Süße, dann mach dich auf ein Feuerwerk gefasst.«
Sie lachte. »Versprochen?«
»Allerdings.«
Sie stand da und schaute ihn an, als würde sie doch noch einmal ihre Meinung ändern. »Das ist so doof. Dass ich hinfahre, meine ich. Vince Martin und das restliche Krankenhauspersonal haben die Sache voll im Griff. Ich kann da wirklich nichts tun.«
»Außer Betsys Eltern durch deine Anwesenheit zu beruhigen.«
»Außer das.« Sie nahm ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen, schaute ihn dabei aber immer noch an. »Das ist wirklich okay für dich, oder?«
Tom lehnte sich in ihrem Bett zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Ich muss zugeben, dass ich es viel besser fände, wenn du bleiben würdest. Aber ich weiß genau, wie das ist, wenn man angepiept wird oder einen Anruf bekommt und zur Arbeit muss. Es passiert nicht unbedingt immer zum besten Zeitpunkt, aber so ist das Leben. Ehrlich gesagt habe ich gerade gedacht, dass ich normalerweise derjenige bin, der in einem total unpassenden Moment aus dem Bett steigen muss.«
Er sah zu, wie sie sich ein wenig Make-up ins Gesicht schmierte und Lippenstift auftrug. »Ich nehme an, bei dir gibt es jede Menge … unpassende Momente, was?«
Sie war eifersüchtig. Sie gab sich zwar alle Mühe, es nicht zu sein, doch es gelang ihr nicht. Für gewöhnlich sorgte so eine Reaktion bei ihm dafür, dass er schreiend weglaufen wollte, doch dieses Mal, bei Kelly, fand er zweifelsohne Gefallen daran.
»Nicht wirklich«, sagte er. »Und schon gar nicht in letzter Zeit. Und es hat nie etwas bedeutet, weißt du?«
Sie warf ihm einen Blick zu. »Ich wollte nicht so klingen, als … Ich wollte nicht neugierig sein oder …«
»Ich habe nichts zu verbergen«, erwiderte er ruhig. »Ich meine, ja, ich habe einige Beziehungen geführt, aber …«
Keine hatte sich auch nur ansatzweise so angefühlt wie das hier.
Herrgott, das konnte er ihr nicht sagen. Die Heftigkeit seiner Gefühle und ihre mögliche Reaktion darauf – oder aber die ausbleibende Reaktion – jagten ihm eine Heidenangst ein. Noch nie zuvor hatte er das Wort Liebe in Zusammenhang mit einem vorausgehenden Ich und einem nachfolgenden dich benutzt. Niemals! Und er konnte noch nicht einmal sicher sagen, ob es das war, was er gerade fühlte; womöglich handelte es sich auch nur um eine Art Hormonschub, der dadurch ausgelöst worden war, dass die Erfüllung eines sexuellen Wunsches mit siebzehn Jahren Verspätung kam.
»Ich möchte es wirklich nicht wissen«, teilte Kelly ihm mit. »Wirklich. Es spielt keine Rolle. Keine Ahnung, warum ich das gesagt habe.«
Tom war froh, dass Thema fallen lassen zu können. »Ruf mich von Boston aus an«, bat er sie. »Wenn du Zeit dazu hast, meine ich.«
Sie betrachtete sich selbstkritisch im Spiegel. »Sie werden es wissen, oder? Da reicht es, einen Blick auf mich zu werfen. Ich habe diesen
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