Tödlicher Irrtum
verließ, war sie sichtlich erleichtert.
Dann kam Gwenda zurück ins Zimmer, nahm die Briefe, die abzuschicken waren, und fragte besorgt, ob sie sonst noch etwas für ihn tun könne.
Er sagte: »Vielen Dank, das ist alles.«
Sie verließ die Bibliothek, ging über den Korridor zur Treppe, dann hinunter… sie kam an Rachels Zimmer vorbei, sie verließ das Haus, und niemand sah sie gehen.
Er selbst blieb allein in der Bibliothek zurück… keiner konnte bestätigen, dass er nicht hinunter in Rachels Zimmer gegangen war. Es bestand kein Zweifel, dass sowohl er wie Gwenda theoretisch die Möglichkeit gehabt hätten, den Mord zu verüben. Außerdem hätten sie ein Motiv gehabt, denn schon damals liebten sie sich. Und niemand konnte ihre Schuld oder ihre Unschuld beweisen.
Gwenda, die in unmittelbarer Nähe des Sonnenecks wohnte, wälzte sich schlaflos in ihrem Bett.
Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, als sie voller Hass an Rachel Jackson dachte. Sie meinte Rachels Stimme in der Dunkelheit zu hören:
»Du glaubtest, mir meinen Mann stehlen zu können, du glaubtest, dass er dir nach meinem Tod gehören würde – aber du hast dich geirrt. Du wirst meinen Mann nie bekommen.«
Hester träumte, dass Donald Craig sie plötzlich am Rande eines Abgrunds verlassen hatte. In Todesangst stieß sie einen Schrei aus, dann sah sie Arthur Calgary auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht stehen – er streckte ihr die Hände entgegen.
»Warum hast du mir das angetan?«, fragte sie ihn vorwurfsvoll.
»Aber ich will dir doch helfen«, erwiderte er.
Dann wachte sie auf.
Tina lag in dem schmalen Bett im Fremdenzimmer. Sie atmete ruhig und gleichmäßig, aber der Schlaf wollte nicht kommen.
Sie dachte an Mrs Jackson – voller Liebe, ohne jede Kritik. Mrs Jackson hatte ihr ein warmes, gemütliches Heim gegeben, Essen und Trinken und Spielsachen. Sie hatte Mrs Jackson innig geliebt, sie war tief unglücklich über ihren Tod.
Und doch lagen die Dinge nicht so einfach… solange man Clark für den Mörder hielt, war alles gut gewesen. Aber jetzt?
13
S uperintendent Huish bemühte sich um einen höflichen, fast entschuldigenden Ton.
»Ich weiß, wie schmerzlich es für Sie alle ist, die Vergangenheit wieder aufzurühren, aber leider bleibt uns keine Wahl. Es stand in allen Morgenzeitungen, dass Clark Jacksons Unschuld, jetzt nach seinem Tod, erwiesen wurde und dass wir einen Irrtum begangen haben.« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Ein Irrtum, der ohne Dr. Calgarys Aussage unvermeidlich war.«
»Mein Sohn erklärte bei seiner Verhaftung, dass er zurzeit des Verbrechens im Auto eines Fremden auf dem Weg nach Drymouth gewesen sei«, erinnerte Leo Jackson kalt.
»Das stimmt, und wir gaben uns die größte Mühe, den Zeugen zu finden, der die Richtigkeit dieser Aussage hätte bestätigen können. Ich kann Ihre Verbitterung nur zu gut verstehen, Mr Jackson. Ich suche nicht einmal nach einer Ausrede. Polizei und Kriminalbeamte haben lediglich die Aufgabe, Beweise zu sammeln; der Staatsanwaltschaft bleibt die Entscheidung überlassen, ob aufgrund dieser Beweise Anklage erhoben wird. In diesem Fall entschloss sich der Staatsanwalt zur Anklage. Dürfte ich Sie bitten, noch einmal die Tatsachen und Zeiten mit mir durchzugehen?«
»Welchen Sinn soll das jetzt noch haben?«, fragte Hester ärgerlich. »Der Täter ist wahrscheinlich am anderen Ende der Welt – Sie werden ihn doch nicht kriegen.«
»Vielleicht ja, vielleicht nein«, erwiderte Huish milde. »Sie glauben nicht, wie oft es uns gelungen ist, einen Täter noch viele Jahre später zu fassen. Man darf in diesem Beruf nie die Hoffnung aufgeben und nie die Geduld verlieren.«
Hester wandte sich ab, und die sensible Gwenda, die eine heimliche Drohung in den Worten des Superintendent zu erkennen glaubte, zitterte einen Augenblick, als habe ein kalter Wind sie gestreift.
Huish richtete seinen Blick auf Leo.
»Beginnen wir mit Ihnen, Mr Jackson.«
»Was wollen Sie noch wissen, Superintendent? Meine Aussage muss doch in Ihren Akten zu finden sein, und ich werde jetzt wahrscheinlich weniger akkurate Angaben machen als damals. Man vergisst die genauen Zeiten im Laufe der Jahre.«
»Das ist uns natürlich völlig klar«, erwiderte Huish. »Aber es besteht doch immer die Möglichkeit, dass irgendein unwichtiges Detail auftaucht, das man seinerzeit übersehen hat…
Und jetzt möchte ich Sie bitten, mit mir noch einmal – Schritt für Schritt – die
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