Tödlicher Kick
Oran gehen, obwohl er haufenweise deutsche Freundinnen hatte. Bis er sich vor zwei Wochen endlich getraut hat, Mutter zu beichten, dass er das nicht Allah zuliebe macht!«
Blitzschnell stürzte Shirins Mutter auf das Mädchen zu und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Zeternd schlug sie auf ihre Tochter ein.
»Elisha!«, herrschte Anoush Mongabadhi seine tobende Frau an, doch mit seiner männlichen Autorität schien es tatsächlich nicht weit her zu sein. Die Mutter fegte Shirin eine Kopfnuss nach der anderen durch die Haare, während die ihr Gesicht mit den Händen zu schützen versuchte.
Weil der Vater noch immer im Schneidersitz auf dem Boden hockte, sprang ich auf, packte die wütende Frau am Arm und zerrte sie von Shirin weg. Unter ihren ganzen Kleidungsschichten war sie klein, mager und zu meinem Glück wirklich nicht kräftig. Doch ihre Fingernägel bohrten sich wie Krallen in meine Unterarme.
Danner und Mongabadhi kamen mir zu Hilfe, doch die Frau kreischte weiter.
»Wenn Sie sich nicht beruhigen, müssen wir Verstärkung rufen, Frau Mongabadhi!«, warnte Danner sie.
Shirin wischte sich trotzig die Haare aus dem Gesicht. Ihre Miene verriet, dass sie nicht vorhatte, sich von ihrer Mutter den Mund verbieten zu lassen.
»Alles, was meine Mutter interessiert, ist, dass Nachbarn und Gemeinde sie für eine Versagerin halten und sie ihr Gesicht verlieren könnte. Dass Oran tot ist, ist ihr scheißegal!«
»Shirin!«, fuhr ihr Vater sie an.
»Hab ich scheißegal gesagt?«, giftete die aufgebrachte Tochter zurück. »Entschuldigung, ich meinte: Sie ist froh, dass er tot ist! Weil ihr dadurch die Schande erspart bleibt.« Shirin schnappte die Zeitung vom Tisch und schleuderte sie ihrer Mutter entgegen. »Schlimm genug, dass im Iran Menschen umgebracht werden. Wir sind hier in Deutschland, Mutter! Hier hätte Oran eine Chance gehabt!«
Elisha Mongabadhi verstummte. Mit einem Schulterzucken schüttelte sie die Zeitung ab, die in ihrem Gesicht gelandet war. Der Auslandsteil segelte vor meinen Füßen zu Boden.
Mein Blick fiel auf die Schlagzeile: Homosexuelles Paar im Iran gesteinigt.
Nachdem Shirin die wacklige Fassade einer gut integrierten Vorzeigefamilie mit der Abrissbirne zertrümmert hatte, war ihre Mutter in eine Art Schockstarre gefallen. Wie ein Opossum, das sich tot stellte, wenn es der Gefahr nicht mehr entkommen konnte.
Weil der herbeigerufene Notarzt die Opossumstarre mithilfe von Beruhigungsmitteln nicht hatte lösen können, hatte er beschlossen, die apathische Frau in der psychiatrischen Notfallambulanz abzuliefern. Ihr Mann hatte sie dorthin begleitet.
»Vor zwei Wochen hatte Mutter einen heftigen Streit mit Oran. Er hat ihr gebeichtet, dass er einen Mann kennengelernt hatte, mit dem er zusammenleben wollte«, berichtete uns Shirin. »Er könne sich nicht bis zum Ende seiner Karriere verstecken, hat er gesagt. Und wenn sogar die Fußballfans allmählich offener werden würden, könnte sich wohl auch Mutter damit abfinden. Mutter ist vollkommen ausgeflippt.«
Sie zuckte die Schulter, als sie meine verständnislose Miene bemerkte: »Meine Mutter ist in einer sehr traditionellen Familie aufgewachsen. Hier in Deutschland sind alle ihre Freundinnen und Bekannten streng gläubig. Für viele von denen ist Homosexualität noch ein Zeichen für ein Versagen der Mutter. In der Gemeinde hätte sie ihr Gesicht verloren.«
Ich bekam eine Gänsehaut. »Halten Sie es für möglich, dass Ihre Mutter Oran getötet hat, um ihr eigenes Gesicht zu wahren?«
Ein Ehrenmord mit durcheinandergeratenen Rollen?
Shirin starrte mich entsetzt an. Doch ihr Zögern verriet, dass sie wirklich ernsthaft über meine Idee nachdachte.
Dann schüttelte sie den Kopf: »Sie weiß genau, dass mein Vater ihr das nie verziehen hätte und eine Scheidung hätte sie nicht riskiert. Das wäre ja ebenfalls eine Schande gewesen.«
»Wissen Sie denn, in wen sich Ihr Bruder verliebt hatte?«, erkundigte sich Danner.
»Nein. Er hat keinen Namen genannt, nur gesagt, er hätte beim Training jemanden kennengelernt.« Sie zögerte kurz, bevor sie weitersprach. »Eigentlich kann es nur jemand aus der Fußballmannschaft sein.«
34.
Kollege Internet brachte uns an dieser Stelle nicht weiter.
Zwar schlug die Diskussion zum Thema Homosexualität und Fußball hohe Wellen. Einzelne Spieler hatten sich zu ihrer Homosexualität bekannt und damit war das Thema auf dem Tisch. Offenbar glaubte niemand mehr, dass Homosexualität ausgerechnet
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