Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödlicher Kick

Tödlicher Kick

Titel: Tödlicher Kick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
Vom Netzwerk:
Engel die Tür.
    Die überirdisch anmutende Erscheinung von Oran Mongabadhis Schwester Shirin blendete mich. Sie trug erneut Weiß, eine figurbetonte Bluse zu einem bodenlangen Rock. Ihr Haar fiel offen über ihre Schultern und sie war geschminkt.
    Ich erinnerte mich an die Frage, die mir beim Anblick der muslimischen Trauergemeinde auf dem Stadionparkplatz durch den Kopf gegangen war: Gab es im Islam gar keine schwarze Trauerkleidung?
    »Wer ist da, Shirin?«
    »Die Leute von der Polizei.« Sie sprach akzentfrei.
    Shirin führte uns ins Wohnzimmer, wo Anoush Mongabadhi mit einer Brille auf der Nase und der Tageszeitung in der Hand an dem niedrigen Wohnzimmertisch hockte. Als wir eintraten, legte er die Zeitung zusammen und lud uns mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen.
    Mongabadhis Frau erhob sich rasch, sie räumte ein paar Teetassen ab und verschwand damit in der Küche. Im Gegensatz zu ihrer Tochter entsprach sie ziemlich genau meinen Vorstellungen einer unterwürfigen Ehefrau: In bunt gemustertem Wickelkleid und Kopftuch huschte sie herum, bediente leise und unauffällig den Hausherrn, sammelte Geschirr, Puschen, schmutzige Unterhosen und womöglich noch seine abgekauten Zehennägel ein, kochte, putzte und drehte die Zahnpastatube auf und zu.
    »Entschuldigen Sie, aber eine Frage beschäftigt mich schon seit einiger Zeit«, begann ich das Gespräch, bevor Danner etwas sagen konnte.
    Mongabadhi schien irritiert, aber nicht sonderlich verärgert. Er wandte sich mir zu.
    »Tragen Sie nach dem Tod eines Angehörigen kein Schwarz?«
    »Nicht zwingend. Am ehesten verbinden wir Weiß mit dem Tod.« Er deutete auf Shirin, die an der Tür stehen geblieben war. »Weiß gilt als Farbe der Göttlichkeit, der Engel, deshalb wird der Leichnam vor der Grablegung auch in weiße Tücher gehüllt.«
    Er zupfte am Stoff seines eigenen, schwarzen Hemdes. »Aber ich finde, die unendliche Trauer eines Vaters, dessen Kind gestorben ist, drückt das in Ihrer Kultur übliche Schwarz besser aus.«
    Hm, irgendwas passte hier nicht richtig zusammen. Vater und Tochter suchten sich sinnvollerweise aus beiden Kulturen heraus, was ihnen gefiel, aber die Mutter huschte stumm in die Küche?
    In diesem Moment kehrte sie mit einer Teekanne in der Hand zurück. Shirin, die immer noch in der Tür stand, dachte gar nicht daran, aus dem Weg zu gehen. Einen Augenblick lang verharrte die alte Frau unentschlossen hinter ihrer Tochter. Der Kontrast hätte nicht größer sein können: Shirin stand trotzig gerade, ihre Mutter hingegen hielt den Kopf gesenkt, das herunterhängende, bunte Kopftuch verhüllte ihr Haar und einen großen Teil ihres Gesichts.
    Das bunte Kopftuch …
    Oran Mongabadhis Mutter war die Einzige im Haus, die durch ihre Kleidung keine Trauer ausdrückte, begriff ich. Weder fernöstliche noch westliche.
    Ich versuchte, unter das Kopftuch in ihr Gesicht zu sehen, als sie die Teekanne auf dem Tisch abstellte: »Und Sie trauern nicht, Frau Mongabadhi?«
    Einen kurzen Moment sah ich ihre dunklen Augen vor Wut über meine Unverschämtheit glühen.
    »Ich denke, das bleibt jedem selbst überlassen«, hob Anoush Mongabadhi anstelle seiner Frau empört die Stimme.
    Sie duckte sich davon. In der Wohnzimmertür versperrte ihr Shirin erneut mit verschränkten Armen den Weg.
    »Wann haben Sie zum letzten Mal mit Ihrem Sohn gesprochen, Frau Mongabadhi?«, rief Danner ihr nach.
    »Meine Frau spricht nicht gut Deutsch«, erklärte Anoush Mongabadhi sichtlich verärgert.
    Shirin sprach ihre Mutter auf Persisch an, ich sah sie auf Danner und mich deuten. Doch die kleine Frau drängelte sich an ihrer Tochter vorbei und verschwand.
    »Sie ist Fremden gegenüber ängstlich«, sagte ihr Mann.
    »Ängstlich?« Shirin kam auf den Tisch zu. »Oran ist tot, Baba! Das sind Polizisten, die seinen Mörder suchen. Wenn du nicht den Arsch in der Hose hast zu sagen, wie es ist, mache ich es eben.«
    Mongabadhi senkte den Kopf, als hätte sie mit einer Zwille auf seine Augen gezielt.
    »Wie du willst.« Shirin strich sich kämpferisch eine Locke aus der Stirn. »Fünf Mal am Tag jammert meine Mutter nach Mekka, dass ich eine Hure bin, weil ich kein Kopftuch trage. Ständig muss ich mir anhören, dass wegen mir schon die Tanten tuscheln.«
    Ein interessanter Gedanke, dass die viel beschworene Familienehre vielleicht nicht ausschließlich Männern wichtig war.
    »Aber bisher hat ja zumindest der heilige Sohn noch funktioniert. Sogar als Jungfrau in die Ehe wollte

Weitere Kostenlose Bücher