Tödlicher Mittsommer
Hoffnung auf einen schönen ungestörten Urlaub war definitiv dahin. Dass ihre halbwüchsige Tochter schnell gleichaltrige Freunde gefunden und nicht das Geringste dagegen hatte, von Mutters wachsamen Augen verschont zu bleiben, machte die Sache nicht besser.
Thomas und Margit hatten die Lage von Anfang bis Ende durchgesprochen und die Ereignisse der letzten Wochen zusammengefasst.
Das Problem war, dass sie immer noch keinen Zusammenhang zwischen den beiden Berggrens und Sandhamn hatten finden können. Weder ihr persönlicher Hintergrund noch die Durchsuchung ihrer Wohnungen hatte etwas ergeben, was mit einer Person auf Sandhamn in Verbindung gebracht werden konnte. Es waren einige Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen, aber nichts von ersichtlichem Wert.
Auf Sandhamn, da ist das Geld, hatte Kicki Berggren zu ihrer Freundin Agneta gesagt. Thomas grübelte immer noch über ihre Worte nach. Welches Geld? Und wo war es?
Die kriminaltechnische Untersuchung hatte erwartungsgemäß ergeben, dass es Kicki Berggrens Blut war, das an dem Heizkörper in Jonny Almhults Haus klebte. Es war auch ihre Jacke, die in der Diele gehangen hatte. Sie war also nachweislich in seinem Haus gewesen, aber ob man ihr dort das tödliche Gift verabreicht hatte, ließ sich nicht feststellen.
Thomas überlegte, wann er sich das letzte Mal so richtig ausgeschlafen gefühlt hatte. Sein Schlafdefizit nahm langsam ungeahnte Ausmaße an. Er konnte sich noch erinnern, wie müde er in den ersten Monaten nach Emilys Geburt gewesen war. Aber damals war es leichter gewesen. Da war er ganz benommen von dem Wunder, Vater geworden zu sein.
Im Moment war er nur völlig erschöpft davon, dass er nicht genug Schlaf bekam. Entweder hatte er vollauf damit zu tun, Leute auf Sandhamn zu befragen, oder er versuchte das, was die Ermittlungen ergaben, zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Sie hatten eigens Leute darangesetzt, alle Informationen noch einmal genauestens durchzuarbeiten.
Thomas ging zum Kaffeeautomaten. Er empfand es als bittere Kapitulation, aber das Einzige, was ihm half, einen klaren Gedanken zu fassen, waren im Moment unbegrenzte Mengen Koffein. In welcher Form auch immer.
Widerwillig ließ er sich einen Kaffee brühen und dann noch einen für Margit. In jeder Hand einen Becher, ging er zurück in Margits Zimmer.
»Hier«, sagte er und hielt ihr den Becher hin. »Vielleicht hilft das ein bisschen. Was ist schon ein Urlaub mit der Familie, wenn man stattdessen in einer brütend heißen Polizeiwache sitzen und einen Mordfall aufklären darf?«
Margit sah ihn finster an.
»Mach du nur Witze. Ich hatte den Mädchen versprochen, dass wir dieses Jahr vier Wochen zusammen verbringen. Und es war elend schwer, für den Juli ein gutes Haus zu finden, das kein Vermögen kostet.«
Thomas lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Aber der Familie geht es doch gut, immerhin sind sie ja noch dort.«
»Sicher, den Mädchen macht das nichts aus. Aber Bertil war nicht sehr glücklich, als ich sagte, dass ich zurück nach Stockholm muss, das kannst du dir ja denken.«
Margit warf einen entschuldigenden Blick zum Foto ihres Mannes, das auf dem Schreibtisch stand. Sie stöhnte und vergrub den Kopf in den Händen.
»Ich begreife nicht, wie Jonny Almhult ins Bild passt. Alle, mit denen ihr gesprochen habt, beschreiben ihn als einen ganz harmlosen Menschen, nicht gewalttätig und definitiv kein Frauenheld. Es ist schwer vorstellbar, dass er Kicki Berggren kaltblütig misshandelt und außerdem ihren Cousin ertränkt haben soll.«
»Und selbst wenn er es getan hätte«, sagte Thomas, »haben wir keine Erklärung dafür, warum Almhult nun seinerseits tot ist.« Er faltetedie Hände hinter dem Kopf, während er laut nachdachte. »Was, wenn noch eine vierte Person mit im Spiel ist? Vielleicht jemand, für den Almhult gearbeitet hat, und dann ist irgendwas schiefgegangen. Das würde zumindest erklären, warum er ebenfalls umgebracht wurde. In dem Fall hätten wir einen Mörder, der drei Menschen getötet hat. Der Almhult vielleicht aus dem Weg geräumt hat, um Spuren zu verwischen. Was uns zu der Frage zurückbringt, warum die beiden Berggrens ihr Leben lassen mussten.«
Thomas blickte nachdenklich auf das glitzernde Wasser des Nackafjärden. Es sah durch das Fenster unverschämt blau aus. Ein perfekter Tag, um mit einem kalten Bier auf dem Steg zu sitzen. Statt in einem heißen Büro bitteren Automatenkaffee zu trinken.
Mit erheblicher Willensanstrengung
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