Tödlicher Ruhm
Kontakt mit der Außenwelt war ihnen verboten, und seit ihrem kurzen, verwirrenden Tag im Auge des Sturms hatten sie nichts mehr gehört oder gesehen.
Der Wahnsinn hatte ein abruptes Ende genommen. Es war, als hätte jemand eine Tür zugeschlagen, was ja im Grunde der Fall war. Ob einsam oder gemeinsam: Sie sehnten sich nach Informationen. Was ging eigentlich vor sich?
Selbst Dervla mit ihrer geheimen Informationsquelle tappte im Dunkeln. Sie hatte sich schon gefragt, ob ihr Brieffreund nach dem Mord wohl aufhören würde, doch das hatte er nicht getan.
»Alle finden dich wunderschön. Ich auch.«
»Du siehst müde aus. Keine Sorge. Ich liebe dich .«
Eines Tages wagte Dervla, den Mord zu erwähnen, indem sie so tat, als spreche sie mit sich selbst. »Lieber Gott,«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. »Wer mag es nur getan haben?«
Der Spiegel hatte nicht viel dazu zu sagen. »Polizei weiß nichts«, stand da. »Polizei ist dumm.«
33. Tag 9:00 Uhr
Der Gerichtsmediziner überbrachte den Bericht zu dem Tuch, mit dem sich der Mörder verhüllt hatte, höchstpersönlich.
»Bin froh über die Gelegenheit, mal aus dem Labor rauszukommen«, sagte er. »Wir kommen nicht oft vor die Tür, und es passiert auch nicht oft, dass uns mal ein Fall mit Prominenten über den Weg läuft. Sie können mir wohl nicht zu einem kleinen Blick hinter die Kulissen verhelfen, was? Nächstes Mal, wenn Sie hingehen? Ich würde ja zu gern sehen, wie es gemacht wird.«
»Nein, kann ich nicht«, gab Coleridge knapp zurück. »Bitte erzählen Sie mir von diesem Tuch.«
»Ein einziges Durcheinander. Tonnenweise widersprüchliche DNA. Abgestorbene Haut, Speichelreste, anderes Zeug. Sie wissen ja, wie es mit Tüchern ist.«
Coleridge nickte, worauf der Mediziner fortfuhr.
»Sie dürften es sich geteilt haben, oder sie haben alle im selben Bett geschlafen, denn es finden sich deutliche Hinweise auf vier verschiedene männliche Personen daran, von denen eine ganz besonders oft vertreten ist. Darüber hinaus gibt es Spuren eines fünften Mannes. Ich vermute, dass das meiste an DNA von den vier verbliebenen Jungs im Haus stammt. Bei dem fünften dürfte es sich um Woggle handeln. Er müsste eine ziemlich deutliche Spur hinterlassen haben, was? Natürlich kann ich erst sicher sein, wenn ich Vergleichsproben von allen habe.«
»Alle? Auf dem einen Tuch?«
»So sieht es aus.«
33. Tag 11:00 Uhr
»Es ist elf Uhr am dreiunddreißigsten Tag«, sagte Andy, der Erzähler, »und die Bewohner wurden in den Beichtstuhl gebeten, um dort eine Probe ihrer DNA abzugeben. Es geschieht auf Bitte der Polizei, wenn auch auf freiwilliger Basis, aber keiner der Bewohner hat sich geweigert.«
»Na, super«, bemerkte Dervla trocken. »Die heutige Aufgabe besteht darin, sich selbst vom Mordverdacht reinzuwaschen.«
Gazzer schien enttäuscht. »Ich dachte, ich sollte mir einen von der Palme wedeln und ihnen einen kleinen Spritzer Eierschaum spendieren«, sagte er, »aber sie wollten mir nur was von der Haut kratzen.«
34. Tag 20:00 Uhr
Halb blind vor Tränen taumelte Layla aus der Kirche. Der Pfarrer hatte sie im Beichtstuhl gefragt, wie es kam, dass sie Trost in einem Glauben suchte, den sie mit fünfzehn verworfen hatte.
»Pater, ich habe einen Menschen auf dem Gewissen.«
»Welchen Menschen? Wer ist gestorben?«
»Ein Mädchen, ein wunderhübsches Mädchen, eine Unschuldige, die ich verachtet habe. Ich habe sie gehasst, Pater. Und jetzt ist sie tot, und ich sollte erleichtert sein. Aber es ist schlimmer als vorher, sie ist überall, und alle sagen, sie sei eine Heilige.«
»Ich verstehe Sie nicht. Wer war dieses Mädchen? Wer nennt sie eine Heilige?«
»Alle. Nur weil sie tot ist, drucken alle ihr Bild und sagen, sie sei ein süßes, unschuldiges Mädchen gewesen und hätte keiner Fliege was zu Leide getan. Aber mir hat sie etwas angetan, Pater! Mir hat sie etwas angetan! Und jetzt ist sie tot, aber sie ist noch da. Sie ist immer noch überall, ein Star!«
Der Pfarrer sah sich Layla durch das Gitter genauer an. Er hatte Hausarrest nie gesehen, warf aber gelegentlich einen Blick in die Zeitung.
»Moment mal«, sagte er. »Sie kenne ich doch, oder? Sie sind...«
Layla floh. Nicht einmal in der Kirche konnte sie der Schande ihrer traurigen Berühmtheit als wandelndes Nichts entgehen. Es gab keine Zuflucht vor ihrem Anti-Ruhm. Vor der Tatsache, dass sie eine Versagerin war, die Erste, die man aus diesem Haus geworfen hatte. Und Kelly hatte sie
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