Tödlicher Ruhm
weckt?«
Dervla gab keine Antwort, da sie genau wusste, dass sie doch noch in Tränen ausbrechen würde, wenn sie es täte.
»Die Polizei zu belügen ist eine Straftat, Miss Nolan«, fuhr Coleridge fort.
»Es tut mir Leid. Ich dachte, es wäre nicht so wichtig.«
»Du meine Güte!«
»Es war nur eine Sache zwischen ihm und mir, und er war draußen! Ich dachte, es wäre nicht so wichtig.« Jetzt weinte Dervla doch.
»Na gut, dann können Sie jetzt damit anfangen, die Wahrheit zu sagen, junge Dame. Sie waren sich, wie ich vermute, Ihres und Kellys Ansehens in der Öffentlichkeit zu jeder Zeit bewusst?«
»Ja, das war ich.«
»Wie stand Larry Carlisle Ihrer Meinung nach zu Kelly?«
»Er hat sie gehasst«, antwortete Dervla. »Er hat sich gewünscht, sie wäre tot. Deshalb wollte ich, dass er aufhört, mir Botschaften zu schicken. Sein Tonfall hat sich so komplett verändert. Er war gemein. Er hat schreckliche Sachen gesagt. Aber er war draußen. Er hätte ja nicht...«
»Sie brauchen sich nicht darum zu kümmern, was er tun konnte und was nicht. Uns, meine Liebe, interessiert hier, was Sie getan haben.«
»Ich hab überhaupt nichts getan!«
Coleridge starrte Dervla an und dachte an seine eigene Tochter, die nicht viel älter als dieses verängstigte Mädchen war, das ihm gegenübersaß.
»Bringen Sie mich vor Gericht?«, fragte Dervla kleinlaut.
»Nein, ich denke, das würde keinen Sinn machen«, erwiderte Coleridge. Dervla hatte nicht unter Eid gestanden, als sie ihre Aussage machte, und hatte unter enormen Stress gestanden. Coleridge wusste, dass jeder halbwegs fähige Anwalt überzeugend darstellen konnte, wie verwirrt sie gewesen war, als sie ihre Aussage gemacht hatte. Außerdem war ihm nicht danach zu Mute, sie vor Gericht zu zerren. Jetzt kannte er die Wahrheit, und allein das interessierte ihn.
Und deshalb kehrte Dervla ins Haus zurück.
47. Tag 11:00 Uhr
Die Tage im Haus schleppten sich dahin, und die Anspannung blieb unverändert. Jeden Moment erwarteten sie entweder Nachricht, dass draußen jemand verhaftet worden war, wie Geraldine versprochen hatte, oder den nächsten Besuch der Polizei, die einen der verbliebenen Bewohner in Gewahrsam nahm. Doch nichts geschah.
Sie kochten ihre Mahlzeiten und erledigten ihre kleinen Aufgaben, immer wachsam, immer misstrauisch. Gelegentlich blubberte zwischen dem halbherzigen Plausch und dem endlosen Schweigen, das inzwischen den Großteil der Kommunikation im Haus bestimmte, ein echtes Gespräch empor, doch diese Momente dauerten nie lange.
»Und wer von euch glaubt jetzt an Gott?«, fragte Jazz, als sie alle um den Esstisch saßen und ihre Spaghetti Bolognese auf dem Teller herumschoben. Jazz hatte über Kelly und über Himmel und Hölle nachgedacht, was ihn zu dieser Frage gebracht hatte.
»Ich nicht«, sagte Hamish. »Ich glaube an die Wissenschaft.«
»Yeah«, stimmte Garry zu, »obwohl Religion für Kiddies gut ist, finde ich. Ich meine, man muss ihnen doch was erzählen, oder?«
»Ich interessiere mich für östliche Religionen«, sagte Moon. »Zum Beispiel finde ich, der Dalai Lama ist ein echt total super Typ, denn bei dem dreht sich alles um Frieden und Gelassenheit, stimmt’s? Und mal so unter uns gesagt: Hut ab! Denn davor hab ich wirklich echt Respekt.«
»An welche Wissenschaft glaubst du, Hamish?«, fragte Dervla.
»An die Urknalltheorie natürlich, was sonst?«, gab Hamish großspurig zurück. »Heutzutage gibt es so starke Teleskope, dass sie bis an den Rand des Universums sehen können, zum Anbeginn der Zeit. Bis auf ein paar Sekunden, kurz nachdem alles angefangen hat, wissen sie alles.«
»Und was war, bevor alles angefangen hat?«, fragte Moon.
»Ach«, sagte Hamish. »Das fragen immer alle.«
»Wieso wohl?«
»Ja, Hamish«, stichelte Jazz. »Was war vorher?«
»Nichts war vorher«, antwortete Hamish herablassend. »Nicht mal nichts. Es gab keinen Raum und keine Zeit.«
»Wie hier drinnen«, meinte Jazz.
»Am Arsch, Hamish, das ist doch Scheiße.«
»Es ist Wissenschaft, Moon. Es gibt Beweise.«
»Ich weiß gar nicht, um was ihr eigentlich streitet«, sagte Dervla. »Mir scheint, weder die Urknalltheorie noch irgendeine andere Theorie schließt die Existenz Gottes aus.«
»Dann glaubst du also an ihn?«
»Na ja, nicht an ihn. Nicht an einen alten Mann mit langem Bart, der auf einer Wolke sitzt und mit Blitzen um sich wirft. Ich schätze, ich glaube an irgendwas, aber ich habe nichts mit irgendeiner organisierten
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