Tödlicher Ruhm
Religion zu tun. Ich brauche keine rigiden Regeln und Vorschriften, um mit dem Gott meiner Wahl Zwiesprache zu halten. Gott sollte für einen da sein, egal ob man sein Buch gelesen hat oder nicht.«
Coleridge und Trisha hatten dieses Gespräch im Internet mitbekommen. Mittlerweile lief das Webcast von Hausarrest in der Einsatzzentrale ohne Unterbrechung.
»Ich hätte das Mädchen wegen Behinderung der Ermittlungen verhaften sollen«, sagte er. »Diese junge Dame könnte noch gut ein paar Regeln und Vorschriften mehr brauchen.«
»Was hat sie getan?«, fragte Trisha. »Ich dachte, Sie mochten sie.«
»Du meine Güte, Patricia, haben Sie das gehört? >Der Gott meiner Wahl.< Was ist das für ein schwammiger Unsinn?«
»Eigentlich bin ich ihrer Meinung.«
»Dann sind Sie genauso dumm und nichtsnutzig wie dieses Mädchen! Man wählt sich seinen Gott nicht, Patricia. Der Allmächtige ist keine Frage der Laune! Gott hat es nicht nötig, für einen da zu sein! Man sollte für ihn da sein!«
»Das ist Ihre Meinung, Sir, aber...«
»Es ist auch das, was jeder einzelne Philosoph und Wahrheitssuchende sämtlicher Kulturen seit dem Anbeginn der Zeit geglaubt hat, Constable! Es wurde stets allgemein angenommen, dass Glaube ein gewisses Element der Bescheidenheit auf Seiten des Gläubigen nötig macht. Eine gewisse Ehrfurcht angesichts der eigenen Bedeutungslosigkeit und der Größe der Schöpfung! Heute allerdings nicht mehr! Ihre Generation sieht Gott als eine Art Wischiwaschi-Berater! Der Ihnen sagen soll, was Sie hören wollen, wann immer Sie es gerade brauchen können, und dazwischen lassen Sie ihn links liegen! Sie haben eine Ramschreligion erfunden, die Ihnen gegenüber jetzt Ihre Ramschkultur rechtfertigen soll!«
»Wissen Sie was, Sir? Ich glaube, wenn Sie vor vierhundert Jahren schon auf der Welt gewesen wären, hätten Sie Hexen verbrannt.«
Coleridge war wie vor den Kopf gestoßen. »Das finde ich unfair, Constable, und auch nicht nett«, sagte er.
Das kurze Gespräch am Esstisch war so beiläufig erstorben, wie es begonnen hatte, und die Hausbewohner waren wieder dazu übergegangen, ihren düsteren Gedanken nachzuhängen.
Was mochte da draußen wohl vor sich gehen?
Sie spekulierten endlos, aber sie wussten es nicht. Sie waren abgeschnitten, im Zentrum dieses riesigen Dramas, und doch spielten sie keine Rolle darin. Deshalb war es nicht weiter überraschend, dass sie selbst zu Detektiven wurden und endlose Theorien ersannen. Hin und wieder trugen sie ihre Überlegungen in den Beichtstuhl.
»Hör mal, Peeping Tom«, sagte Jazz bei einer dieser Gelegenheiten. »Wahrscheinlich ist das jetzt echt blöd. Bis eben hab ich überhaupt nicht daran gedacht, irgendwas darüber zu sagen, aber ich denke, vielleicht sollte ich es sagen, damit ihr es der Polizei erzählen könnt, und dann ist es gut, okay? Denn wahrscheinlich ist es sowieso nichts. Ich war bloß mit Kelly und David im Whirlpool. Ich glaube, es war so Anfang der zweiten Woche, und Kelly hat David was ins Ohr geflüstert, woraufhin er fast ausgerastet ist. Ich glaube, sie hat gesagt: >Ich kenn dich<, und das hat ihm überhaupt nicht gepasst. Da hatte er schwer zu knabbern. Dann hat sie was ganz Komisches gesagt. Ich weiß nicht, aber ich glaube — unter uns Pastorentöchtern — , sie hat gesagt: >Akkordficken Zwanzig<, und er war platt, Mann. Das hat ihm echt nicht gefallen.«
»Toll«, sagte Hooper, der sich inzwischen zu Trisha am Computer gesellt hatte. »Zwei Wochen sitzen wir vor diesen blöden Videos. Einen einzigen kläglichen Hinweis wringen wir aus, und jetzt stellt sich raus, dass dieser Sack die ganze Zeit schon Bescheid wusste.«
»Na ja, wenigstens hat er bis jetzt gewartet«, sagte Trisha, »und dir die Befriedigung gelassen, es selbst herausgefunden zu haben.«
»Ich bin begeistert.«
Vielleicht war Hooper nicht begeistert, dafür aber alle anderen, denn die Presse, die ebenfalls das Internet verfolgt hatte, brauchte keine fünf Minuten, um rauszufinden, was Akkordficken Zwanzig war — und natürlich auch, wer den Boris Pecker spielte. Die Nachricht über diese pikante Entwicklung stand am nächsten Morgen zur Freude der zahllosen Fans von Hausarrest in den Zeitungen. Davids Absturz war nun nicht mehr aufzuhalten.
49. Tag 10:00 Uhr
Es war mal wieder Abschiedstag, doch bis zur Aufregung am Abend sollten noch einige Stunden vergehen. Wie üblich hatte sich das Produktionsteam von Peeping Tom das Hirn zermartert, um sich etwas
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