Tödlicher Ruhm
urplötzlich ebenso aufgebracht. »Und ich verrate dir auch gern, wieso: weil ich zwei Jahre — hörst du mich, Schätzchen? — zwei Jahre in einer psychiatrischen Klinik war. Hast du es jetzt begriffen? Eine Irrenanstalt, eine Klapsmühle, und deshalb, Sally, deshalb hab ich was gegen die Scheißbekloppten.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Die plötzliche, unerwartete Bombe hatte die anderen Mädchen völlig überrascht.
»Warst du nicht«, sagte Kelly. »Du willst uns für dumm verkaufen.«
Aber anscheinend wollte Moon das keineswegs.
»Also erzähl mir nichts von Leuten, die Probleme mit ihrem Gemütszustand haben, Sally! Ich habe mit denen zusammengelebt, ich habe mit denen in einem Zimmer geschlafen, mit ihnen am selben Tisch gegessen, bin dieselben Korridore entlanggelaufen und hab zwei Jahre lang dieselben beschmierten Wände angestarrt. Also komm mir nicht mit diesem Einer Flog Übers Kuckucksnest -Quatsch! Als wären sie eigentlich die Normalen... die beschissenen Helden.«
Sally wollte offensichtlich etwas erwidern, fand jedoch angesichts von Moons Sturmangriff, der unvermindert weiterging, keine Worte: »Oh, ja, ich bin mir sicher, dass es da haufenweise Nette gibt, haufenweise nette, süße kleine Manisch-Depressive, die niemandem etwas zu Leide tun würden, außer ihrer Mum, ihrem Dad und sich selbst... aber ich rede hier von den Durchgeknallten. Von den anderen, die rumschreien und nachts an sich herumzerren. Die ganze Nacht! Die nach dir ausholen, wenn du auf der Station an ihnen vorbeikommst, die dich hinterhältig austricksen, dich packen, dich befummeln und dich allen Ernstes fressen wollen.«
Die vier anderen jungen Frauen saßen auf ihren Betten und starrten Moon fassungslos an. Sallys Gefühlsausbruch hatte sie überrascht, doch das hier war viel, viel mehr. Es war schockierend. Moon war so fröhlich gewesen, gleich vom ersten Tag an, und jetzt das.
»Aber wieso? Wieso warst du da, Moon?« Dervlas Stimme klang vollkommen ruhig. Nett und tröstend wie die eines Arztes oder eines Priesters, aber wer sie kannte, hätte die Angst darin gehört. Er hätte gewusst, dass sie sich fürchtete. »Warst du krank?«
»Nein, ich war nicht krank«, antwortete Moon verbittert. »Mein beschissener Onkel war krank. Mein Onkel ist ein mieses krankes Dreckschwein.« Sie stutzte und schien zu überlegen, ob sie weitersprechen sollte.
Layla fragte, ob sie ihre Hand halten sollte. Moon ignorierte sie.
»Er hat mich missbraucht, okay? Nicht ganz, keine Vergewaltigung, aber es hat gereicht. Ein Jahr lang ging das, bis ich es eines Tages meiner Mutter erzählt habe, dieser blöden Kuh. Ich kann das jetzt sagen, weil sie tot ist. Ich hätte nie gedacht, dass sie ihrem Bruder glauben würde und nicht mir, aber er war ein mächtiger Mann in der Gemeinde. Er war Arzt. Und er hatte Freunde, Rechtsanwälte, andere Ärzte und so, die es fertig gebracht haben, dass es so aussah, als wäre alles meine Schuld gewesen. Ich war ein böses, verlogenes kleines Luder mit gefährlich ausufernder Fantasie. Vielleicht wäre es anders gelaufen, wenn mein Dad da gewesen wäre, aber Gott weiß, wo der ist. Gott allein weiß, wer er ist.«
»Sie haben es geschafft, dich einweisen zu lassen?«, fragte Dervla erstaunt.
»Ja, man sollte nicht glauben, dass so was passieren kann, oder? Einem jungen Mädchen, heutzutage, aber so war es, und man hat mich eingesperrt, weil ich versucht hatte, allen zu erzählen, dass mein Onkel an mir rumgefummelt hatte.«
Es herrschte Schweigen im Raum. Zum ersten Mal, seit sie alle ins Haus gekommen waren, wusste niemand etwas zu sagen.
Die Stille hallte im Monitorbunker nach, wo Bob Fogarty, seine Regieassistentin Pru, diverse Redakteure und die versammelten persönlichen Assistenten sprachlos auf ihren Stühlen saßen.
»Das ist unglaublich«, sagte Fogarty.
»Allerdings«, bestätigte Geraldine Hennessy. »Das ist doch alles Blödsinn.«
Alle fuhren überrascht herum. Niemand hatte bemerkt, dass sie den Bunker betreten hatte. In Wahrheit aber sah sie schon eine ganze Weile zu. Sie kam vom Abendessen und hatte ihren derzeitigen Freund im Schlepptau, einen hübschen neunzehnjährigen Tänzer, den sie hinter der Bühne beim Virgin Summer Pop Festival kennen gelernt hatte.
»Ich hätte nicht gedacht, dass sich ausgerechnet Moon als Lügnerin entpuppen würde, wirklich nicht. Ich muss sagen, ich bin beeindruckt.«
»Sie lügt?«, fragten die zahlreichen Redakteure und Assistenten
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