Tödlicher Schnappschuss
Gemeindebrief. Am Treppenabsatz blieb
die alte Dame stehen und wandte sich zu Maja um.
»Kommen Sie schon«,
sagte sie und deutete wieder mit dem Kinn - diesmal nach oben. »Oder
wollen Sie mir erzählen, dass Ihre Neugier schon befriedigt ist?«
VIERZEHN
»Was hat er denn
verbrochen?«, fragte Frau Majewski unverblümt, nachdem sie Maja
in den engen Flur der kleinen Wohnung im ersten Stock geschoben hatte und
eilig den Mantel abstreifte, um ihn ordentlich an der Garderobe aufzuhängen.
Ihre Mütze behielt sie auf; wahrscheinlich hatte sie Angst um ihre
Frisur, dachte Maja. Den Trolley rollte sie in die Küche und ließ
ihn dort stehen.
»Das wissen wir leider
nicht«, erwiderte Maja wahrheitsgemäß. »Er hat sich
jedenfalls in den letzten Tagen … sagen wir, auffällig
verhalten.«
»Das sieht ihm ähnlich.«
Edeltraut Majewski schob Maja in das Wohnzimmer. Hier war die Zeit stehen
geblieben, und Maja fand sich in einem Zimmer der frühen 70er-Jahre
wieder. Möbel aus dunkler Eiche, reichlich verziert, ein mit dunkelgrünem
Samt bezogenes Sofa und ein Ölgemälde über dem Sofa, das
einen einsamen See inmitten schneebedeckter Berge zeigte - gerahmt von
einem schweren Holzrahmen mit kitschigen Schnitzereien. Auf einem
Sideboard erkannte Maja das Schwarzweißfoto eines alten Mannes mit
rundem Gesicht und dunklen Haaren. Die Augen blickten munter durch die Gläser
einer Hornbrille; der Mann selbst trug einen Anzug und erinnerte Maja ein
wenig an den Schauspieler Heinz Erhardt. An der unteren linken Ecke gab es
ein schwarzes Band, das diagonal über das glänzende Metall des
Rahmens verlief.
»Mein Mann Erhardt«,
erklärte Edeltraut Majewski, als sie Majas Blick bemerkte. »Seit
fast zwanzig Jahren ist er nun tot.« Dann lachte sie mit feucht glänzenden Augen. »Er sieht ein wenig
aus wie der echte Heinz Er-hardt, finden Sie nicht auch?«
»Allerdings«,
stimmte Maja zu und betrachtete die bunten Römergläser hinter
den kleinen Butzenscheiben der Schrankwand. Ähnliche Gläser
hatte ihre Mutter auch besessen.
»So - nun setzen Sie
sich doch.« Frau Majewski zeigte auf das Sofa und ließ sich
selbst auf einem Sessel nieder, über dessen Armlehne eine
aufgeschlagene Fernsehzeitung und eine Illustrierte lagen.
Maja kam der Aufforderung
nach. »Hat Markus Vorberg Freunde oder Familie, die ihn besuchen?«
»Genügend.«
Edeltraut Majewski winkte ab. »Seitdem der hier wohnt, herrscht in
diesem Haus Tag und Nacht ein ständiges Kommen und Gehen. Und glauben
Sie bloß nicht, dass sich die jungen Leute im Treppenhaus ruhig
verhalten! Ich war schon ein paar Mal kurz davor, die Polizei zu rufen.«
Sie lächelte spitzbübisch, als sie fortfuhr: »Aber jetzt
sind Sie ja hier.«
»Ja.« Maja
nickte. So kam sie nicht weiter. »Kannten Sie die Leute, von denen
Herr Vorberg Besuch hatte?«
Die alte Dame senkte den
Blick und dachte sekundenlang nach. Dann ruckte ihr Kopf hoch. »Nein«,
murmelte sie und schüttelte das graue Haupt. »Nicht einen. Aber
denken Sie jetzt nicht, dass ich ständig am Türspion stehe und
alles überwache.«
»Natürlich nicht.
Aber was ist mit seiner Verwandtschaft?«
»Er hat, soviel ich weiß,
einen Bruder. Mit dem hat er aber wohl Streit, keine Ahnung. Und nun ist
er tot.«
Maja wurde auf der Stelle
hellhörig.
»Ansonsten gibt es
seine Mutter, die ihn ab und zu besuchen kommt. Eine ganz nette Frau, so
ganz anders als ihr Sohn. Wir haben schon mal
geplaudert, eine sehr patente Person. Wenn Sie mich fragen, ist der Junge
eine Strafe für sie. Ja, ich glaube, sie schämt sich für
ihren Sohn.«
»Wissen Sie, wo sie
wohnt?« Maja machte sich Notizen.
»Augenblicklich nicht
weit von hier: Sie liegt im Krankenhaus. Ihre Söhne haben sie fertig
gemacht, glaube ich. Erst der eine Sohn, der ihr ständig Sorgen
bereitet, und jetzt die schreckliche Nachricht vom Mord am älteren
der beiden. Schrecklich, ganz schrecklich. Dabei ist Hildegard eine ganz
liebe Person.« Ein bedauerndes Kopfschütteln folgte. »Unsere
Kinder sind zusammen aufgewachsen, deshalb kenne ich die Familie schon länger.«
Maja spürte, wie sich
die Härchen auf ihren Unterarmen aufrichteten. Gestern noch waren
Kollegen bei Hildegard Vorberg gewesen und hatten sie zum Mord an
Christian Vorberg befragt, und heute lag sie im Krankenhaus?
»Wissen Sie, warum Frau
Vorberg im Krankenhaus
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