Tödlicher Staub
Sonne.«
»O Himmel, Sie werden ja lyrisch.«
»Ich mache nur eine nüchterne Feststellung. Eine Frage: Was hat Sie hierher in den ›Roten Salon‹ geführt?«
»Die Empfehlung eines Freundes.«
»Dieser Ort ist unter Ihrer Würde.«
»Ich bin ein Gast von Madame und fühle mich wohl, solange mich niemand anfaßt. Und das hat noch keiner versucht, Mr. Fulton.«
»Wie kommen Sie nach Paris?«
»Mit dem Flugzeug …«
Fulton nickte. »Recht so. Auf dumme Fragen dumme Antworten!«
»Ich mache Urlaub, das wollten Sie doch hören?«
»Und was machen Sie in Moskau?«
»Ist das ein Verhör?«
»Mich interessiert Ihr Alltag. Der ›Rote Salon‹ paßt einfach nicht zu Ihnen.«
»Sie könnten sich irren, Mr. Fulton.«
»Sie sind allem Anschein nach eine reiche Russin …«
»Ich habe einen reichen Freund. Genügt das?«
»Es genügt, um daran zu glauben. Aber Sie sind nicht glücklich.«
»Ich bin sehr glücklich.«
»Und warum haben Sie dann beim Singen geweint?«
Er hat es bemerkt, er hat außer Madame als einziger meine Tränen gesehen. Er hat mein innerliches Weinen gehört. Bob Fulton, du bist ein gefährlicher Mann.
»Ein Russe ist immer traurig, wenn er fern der Heimat von seiner Heimat singt. Das ist unsere Natur. Wir können im Heimweh schwelgen. Sie, als Amerikaner, kennen dieses Gefühl nicht. Habe ich recht?«
»Wir lieben unser Land ebenfalls, aber wir können auf der ganzen Welt zu Hause sein. Das kann ein Vorteil sein.« Fulton streckte sich und griff nach einem Sandwich. Es war mit feinstem Lachs und Kaviar belegt. Unbekümmert biß er davon ab und kaute mit vollem Mund. Natalja sah ihm zu. Ist das nun eine Frechheit oder einfach seine unkomplizierte Lebensart? Sie wußte es nicht.
»Hat's geschmeckt?« fragte sie, als Fulton das Sandwich gegessen hatte. Fulton nickte.
»Sehr gut. Wollen Sie auch eines?«
»Danke.«
»Wo wohnen Sie, Natalja Petrowna?«
»Hier, bei Madame. Warum? Wollen Sie mich besuchen?«
Eine gefährliche Frage, aber Natalja bereute sie nicht. Sie spürte selbst, wie sie sich veränderte, wenn sie in seine Augen sah. Aber sie wehrte sich nicht dagegen.
»Nicht bei Madame de Marchandais. Können wir uns nicht woanders sehen? Paris hat so viele schöne Cafés und verschwiegene Plätze.«
»Sie wollen mich wiedersehen?«
»Auf jeden Fall! Aber außerhalb des roten Plüsches und ohne die schwülstige Atmosphäre. Ich möchte mit Ihnen sprechen … an der Seine, in den Gärten der Tuilerien, auf einer Bank vor Notre-Dame, auf dem Montmartre, wo wir den Malern zusehen können, oder auf dem Père-Lachaise … Man kann auf einem Friedhof wunderbar miteinander reden. Man kann dort vieles sagen, was woanders nicht möglich ist.«
»Mr. Fulton, sind Sie ein verkappter Romantiker?«
»Im Gegenteil, ich kann knallhart sein.«
»Das glaube ich Ihnen. Und wie sind Sie wirklich?«
»Das sollen Sie herausfinden, wenn wir uns treffen.« Fulton beugte sich zu ihr vor. Diese Augen, dieser Blick! Natalja wollte sich von ihm losreißen, aber sie konnte es nicht. Dieser Blick fesselte sie und machte sie reaktionsunfähig. »Natalja … haben Sie morgen für mich Zeit?«
»Wo?« fragte sie gegen ihren Willen.
»Wir treffen uns im Café de l'Opéra, um fünfzehn Uhr?«
»Ich kann nichts versprechen …«
»Schon, daß Sie nicht nein sagen, ist eine Hoffnung wert.« Fulton erhob sich, nahm ihre Hand und küßte sie, und ihren Körper durchzuckte ein heißes Beben. »Ich sehe, ich bin fast der letzte Gast. Schlafen Sie gut, Natalja … und bis morgen …«
Sie blickte ihm nach, wie er sich von Madame de Marchandais verabschiedete, und rang mit sich um ein »Nein, ich komme nicht!«. Als er den ›Roten Salon‹ verlassen hatte und im Vorraum auf ein Taxi wartete, kam Madame zu ihr.
»Ein faszinierender Mann, nicht wahr?« fragte sie.
»Wer?«
»Fulton. Ich habe euch beobachtet.«
»Er will mich treffen. Morgen, im Café de l'Opéra … aber ich gehe nicht hin.«
»Natürlich gehst du hin. Leugne nicht, denn in deinen Augen liegt ein gewisser Glanz. Du kannst eine erfahrene Frau nicht belügen! Du bist wie eine Prinzessin im Märchen, die durch ein Wunder aus einem tiefen Schlaf erwacht und eine neue Welt sieht. Du kannst nicht mehr fliehen.«
»Ich kann es! Ich hasse jede Männerhand, die mich berührt!«
Am nächsten Tag, pünktlich um fünfzehn Uhr, saß Fulton draußen vor dem Café unter der Markise. Es war ein sonniger Tag, warm und sonnendurchflutet, und Paris
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