Tödlicher Staub
der Liebe ist, wie es heißt – das sind andere Städte auch –, sondern weil das Flair dieser Metropole an der Seine mit ihren schönen Brücken und Uferpromenaden, den Straßenmalern am Montmartre, den lebensfrohen oder verträumten Plätzen, den Cafés und Bistros, den eleganten Boulevards und den Champs-Elysées, ihn dies alles immer wieder in eine heitere Stimmung versetzte. Er konnte stundenlang über den Friedhof Père Lachaise wandern und die Gräber der großen Franzosen besuchen, Namen, die einst die Kunstgeschichte Frankreichs geformt hatten und deren Werke zur Weltkultur gehörten. Dann saß er auf einer Bank, umgeben von den letzten Ruhestätten der Genies und Abenteurer, und versetzte sich zurück in ihre Zeit, die heute verklärt und idealisiert wird und doch eine Zeit voller Kriege, Verwüstungen, Menschenverachtung, Revolutionen, absolutistischer Herrschaft und Wahn gewesen ist.
Was hat sich eigentlich geändert, fragte er sich in solchen stillen Stunden manchmal. Nur die Dimensionen sind anders geworden, gewaltiger, schrecklicher, vernichtender. Der Mensch kann zum Mond fliegen, er schießt Satelliten ins All, kann ganze Körperteile auswechseln, schickt Sonden bis zum Mars und Jupiter und hat die Atome gezähmt und sich zunutze gemacht. Das Teuflischste von allem aber ist das Plutonium, da es unseren Planeten vernichten kann. Ob siebzehntes Jahrhundert – man könnte auch jedes andere Jahrhundert nennen – oder das zwanzigste Jahrhundert, es hat sich nichts verändert, nur die Positionen haben sich verschoben. Und am wenigsten geändert hat sich der Mensch. Der Vernichtungsgedanke, dieser Urtrieb seines Lebens, ist geblieben.
Am Ende dieser Überlegungen waren alle Skrupel verschwunden, die Dr. Sendlinger beim Handel mit dem Tod je gehabt hatte. Er verscheuchte seine Gewissensbisse, ging in ein Bistro, trank einen Pastis, aß ein halbes Dutzend Austern aus der Normandie und fühlte sich wie befreit. Wenn nicht ich, dann machen andere das große Geschäft … Gewissen ist die Bremse des Erfolges, wenigstens auf meinem Gebiet.
Aber diese Stunden des Nachdenkens auf dem Père Lachaise waren selten geworden. Jetzt, auf seiner neuerlichen Reise nach Paris, hatte er keine Zeit mehr zum Nachdenken. Es ging um Hunderte von Millionen Dollar, um die Vorherrschaft auf dem Markt des Schreckens und der Vernichtung. Zusammen mit Sybin, der die Ware heranschaffte, sah er die Macht des Monopols.
Dieses Mal wohnte Sendlinger nicht in dem verträumten Mittelklassehotel, sondern er mietete sich im Luxushotel George V. ein, wo echte Impressionisten an die Wände geschraubt waren und der sagenhafte, superreiche Gulbenkian, der Mister Fünfprozent, sein frugales Essen eingenommen und gewärmte Milch getrunken hatte. Ein Händler des Todes muß standesgemäß residieren.
Anwar Awjilah, der Attaché der iranischen Botschaft, war der erste Besucher, den Dr. Sendlinger empfing. Da Awjilah Moslem war und keinen Alkohol trank, ließ Sendlinger einen köstlichen Fruchtcocktail servieren, dazu süßes Gebäck und Havannazigarren, die Anwar besonders gern rauchte.
»Kommen wir sofort zur Sache«, sagte Sendlinger ohne Einleitung. »Ich kann Ihnen ein Kilogramm reines Plutonium 239 anbieten. Eine Probe habe ich mitgebracht, sie beweist die Qualität. Der Preis für das Kilogramm beträgt fünfundsechzig Millionen Dollar.«
Awjilah starrte auf das Päckchen, das Sendlinger zwischen ihnen auf den Tisch gelegt hatte. Awjilah war ein höflicher Mann, der mit einer leisen Stimme sprach und die Eleganz der Franzosen angenommen hatte. Er nickte kurz und neigte den Kopf ein wenig zur Seite.
»Fünfundsechzig Millionen Dollar? Der Marktwert sinkt, Herr Dr. Sendlinger«, sagte er in einem einwandfreien Deutsch.
»Wollen wir handeln? Im Bazar von Teheran gibt es kein Plutonium.«
»Für eine Bombe brauchen wir vier bis fünf Kilogramm.«
»Das weiß ich. Mein Angebot ist ja nur der Anfang. Ich weiß, daß Sie einige der besten Atomwissenschaftler und Konstrukteure in Ihr Land geholt haben, unter anderem aus dem Atombombenzentrum von Arsamas.«
»Da wissen Sie mehr als ich«, erwiderte Awjilah verschlossen.
»Ich weiß noch mehr.« Dr. Sendlinger lächelte verhalten. »Sie haben alle Voraussetzungen, um die Präzisionsmechanismen einer Bombenzündung nachzubauen. Was Ihnen noch fehlt, ist der Grundstoff: das Plutonium. Die CIA weiß, wie weit in Ihren geheimen Werken die Konstruktionen gediehen sind.«
»Die Amerikaner!«
Weitere Kostenlose Bücher