Toedlicher Staub
Augen zusammen. Der Aufprall des Dokuments auf den frisch genähten Lippen tat verdammt weh. Nina hatte recht. Der Moment der Wahrheit war gekommen. »Ich heiße Pierre Nazzari und bin ein Deserteur«, so fing er an.
Nina hörte schweigend zu, bis zu der Stelle, als Pierre von dem Raub ihres Laptops erzählte. Als sie erfuhr, dass er das gewesen war, geriet sie außer sich, beschimpfte ihn und brach in Tränen aus. Nazzari wartete, bis sie sich beruhigt hatte, dann fuhr er fort. Irgendwann kam Sebastiano Trincas mit Proviant und ein wenig Kleidung zum Wechseln; Pierre berichtete gerade von seiner Begegnung mit der Französin und ihrem Bodyguard.
»Was ist los?«, fragte er.
»Du setzt dich hin und hältst den Mund«, gebot ihm die Tierärztin. »Du hast das Stück Scheiße eingestellt, damit es mir nachspioniert.«
»Sie haben mich dazu gezwungen, und ich hab nicht gewusst, dass du das Ziel bist«, verteidigte er sich mit einer Halbwahrheit.
»Das stimmt«, kam ihm Pierre zu Hilfe. »Er hat nichts wissen wollen.«
»Außerdem solltest du mich nicht so behandeln, Nina«, stellte Sebastiano klar. »Ich hab eure Haut gerettet, hab euch zum Arzt gebracht und beschütze euch.«
»Entschuldige«, meinte Nina eilig. »Ich bin so durcheinander.« Sie zeigte ihm Nazzaris Pass und gab eine rasche Zusammenfassung dessen, was sie bis zu Sebastianos Ankunft gehört hatte.
»Böse Sache«, meinte Trincas. »Was sollten wir noch wissen, Pierre?«, fragte er und benutzte zum ersten Mal diesen Namen.
Pierre berichtete alles bis zur Übergabe der falschen Papiere wenige Stunden vor dem Überfall.
»Wir müssen zur Polizei gehen«, meinte Nina, »anders kommen wir nicht heil aus der Sache raus.«
Sebastiano musterte sie. Sie war zu erschüttert, um klar denken zu können. Das sagte er ihr auch. »Erst einmal müssen wir herausbekommen, wer euch diesen üblen Streich gespielt hat. Falls Leute wie Tore Moi oder Ceccarello dahinterstecken, dürfen wir keine übereilten Beschlüsse fassen. Bis dahin müsst ihr euch hier verstecken.«
»Ich bin weder ein Deserteur noch ein geflohener Verbrecher«, erwiderte die Tierärztin patzig. »Ich bin eine anständige Bürgerin, die verfolgt, beraubt, überfallen und vergewaltigt wurde, und ihr findet, ich darf nicht zur Polizei gehen?«
Trincas seufzte. »Warum willst du den Mann hinter Gitter bringen, der dir das Leben gerettet hat?«
Nina starrte ihn verblüfft an. »Das will ich ja gar nicht, aber irgendwann ist der Moment da, in dem man zu seiner Verantwortung stehen muss.«
»Schöne Worte. Leider sind sie vollkommen sinnlos.« Trincas stand auf und ging zur Tür. »Ihr habt jetzt für ein paar Tage genug zu essen. Ich hoffe, ich kann bald wiederkommen.«
Am nächsten Morgen las Tore Moi in der Zeitung den Bericht vom Brand der Strandbar, bezog das Geschehen jedoch keineswegs auf Nazzari und Nina, sondern verbuchte das Ganze als Abrechnung zwischen früheren Geschäftspartnern oder als Streit zwischen den Halbstarken, die am Poetto ihr Unwesen trieben. Ihn interessierte vielmehr ein Artikel auf Seite vier der Lokalzeitung, dessentwegen der Senator ihn eiligst zu sich gerufen hatte.
»Die Schützen kommen: Mehr als tausend Bersaglieri werden auf die Insel verlegt. Fortsetzung des Ausbaus der Basis auf Capo Teulada. Es entsteht das Zentrum des Krieges der Zukunft.«
Zügig überflog Tore noch einmal die Zeilen, die er rot angestrichen hatte: »Das Dritte Schützenregiment wird aus Mailand nach Capo Teulada verlegt und der Brigata Sassari unterstellt … Rasche Fertigstellung der für die Beherbergung der sechzehnhundert nötigen Infrastruktur … Folglich wird die Tätigkeit des Ersten Panzerregiments fortgeführt, ebenso die Fortbildungsmaßnahmen, für welche die Militärbasis bekannt ist … Siebenundzwanzig Millionen Euro werden auf Capo Teulada für die Erstellung des Combat Training Center investiert, das dazu dienen soll, mittels modernster Techniken den Realitätsgrad der Simulationen zu steigern …«
Tore war besorgt. Davon hatte er nichts gewusst, und er fürchtete, dass auch der Senator nicht auf dem Laufenden war. Mario steuerte den Wagen schweigend. Er wusste, wenn sein Partner schlecht gelaunt war, ließ man ihn am besten in Ruhe. Er selbst hätte gern etwas zu dem Brand von Un posto al sole gesagt und vor allem gern mal ein paar Takte mit dem Sackgesicht von Sebastiano gesprochen, der immer gut darauf achtgab, sich keine Feinde zu machen, aber an dieser Sache
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