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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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gegebenenfalls Messer abgeben. Dann geht es über eine breite Treppe hinauf ins Obergeschoss, in den Saal der so genannten Gerechtigkeit. Ein langer Flur mit hohem Gewölbe und cremefarbenen, mit verblassenden Bourbon-Lilien geschmückten Wänden. Von der Decke hängen, so groß wie ausgewachsene Frauen, Leuchten aus Gold und Glas, die dem riesigen kühlen Gewölbe eine Struktur geben. Die Fenster auf der einen Seite des Flurs gehen zur Straße hinaus, auf der anderen Seite liegen die Gerichtssäle.
    Der Job macht Calinda fertig: die Verhandlungen, die schiefgehen; die Kinder, die in die Jugendstrafvollzugsanstalt Bridge City geschickt werden; die De-facto-Rassentrennung in »The Bench«, der Bar, in der die Leute von der Staatsanwaltschaft trinken, reden, Karten spielen und rauchen – und auch grasförmiges Beweismaterial in Rauch aufgehen lassen, wie es heißt. Die vergitterten Fenster zur Bar sind schwarz gestrichen. Um hineinzukommen, muss man klingeln – und weiß sein, wie Calinda schnell begriffen hat. Da sie selbst der Staatsanwaltschaft angehört, erhielt sie Zutritt, aber es war nicht zu übersehen, dass es systematisch ignoriert wurde, wenn Schwarze klingelten. Als sie das bemängelte, hieß es, sie solle nicht so schwarzsehen. Was kein Wortspiel sein sollte. Und dann ist da noch die Frau, die sich dazu berufen fühlt, tagtäglich im Gerichtsgebäude zu erscheinen und, wenn die Häftlinge in ihren Ketten weggeführt werden, Gospels zu singen – so mitfühlend und melancholisch, dass es in dem hohen Flur widerhallt wie Grabgesänge. »Wie im Film«, sagte Calinda, als wir uns gerade erst kennengelernt hatten und sie mir zum ersten Mal davon erzählte. Ich habe ihr damals geraten, einen Enthüllungsroman zu schreiben, eine Kolumne oder einen Blog.
    »Na klar«, hat sie erwidert. »Da behalte ich lieber meinen Job. Und mein Privatleben!«
    Außerdem, meinte sie, versuche sie, sich auf die komische Seite des Ganzen zu konzentrieren, den Sheriff zum Beispiel,der während der Verhandlungen so zuverlässig einschläft, dass immer wieder Gefangene zu entkommen versuchen; oder die Szene, in der ein soeben verurteilter Mann Anfang zwanzig aufgesprungen war und mit dem Finger auf die Aufseherin gezeigt hatte.
    »An all meinen Problemen«, hatte er geschrien, »an der ganzen Scheiße in meinem Leben sind nur dicke Frauen schuld!« Alle im Gerichtssaal brachen in Gelächter aus.
    »Das ist doch in Ordnung«, hatte die Frau erwidert. »Darüber können Sie in Ruhe nachdenken, wenn Sie in Angola sitzen.«
    Bei Gericht ist Humor grundsätzlich Galgenhumor, denn alle wissen, wie es wirklich aussieht. Das Gefängnis Louisiana State Penitentiary – Angola, auch »Alcatraz des Südens« genannt – ist größer als Manhattan. Es ist nach dem afrikanischen Angola benannt, wo einst die Sklaven gefangen genommen wurden. Und es ist auf dem Grund und Boden einer früheren Plantage errichtet worden, auf der es selbstverständlich Sklaven gab. Angebaut wurden Baumwolle und Tabak. Jetzt ist dort Louisianas neue Sorte Zwangsarbeiter untergebracht – die Gefangenen, die sich um die großen Felder kümmern.
    »Was sich in den Gerichtssälen abspielt, ist wie eine einzige Sitcom«, sagte Calinda damals. »Herzzerreißend und unsagbar komisch zugleich. Aber würde man das so im Fernsehen zeigen, würde einem kein Mensch glauben. Und man muss alles mit ansehen und darf keine Miene verziehen.«
    Ich prostete ihr zu, sagte: »Auf das Pokerface«, und wir stießen mit unseren Bierflaschen an.
    Aber heute sieht sie, als sie sich mir gegenüber an den kleinen Tisch in »Jacques-Imo’s« setzt, sehr ernst aus. »Hallo.« Sie ignoriert die Speisekarte. »Es ist eine Leiche gefunden worden.«
    »Die verschwundene Touristin?«
    »Wir nehmen es an.«
    »Ihr nehmt es an?«
    »Hör zu, Nola. Der Frau ist das Gesicht weggeschnitten worden.«
    Schweigend sitze ich da, während mein Verstand Achterbahn fährt.
    »Und die Fingerkuppen«, fügt sie hinzu. »Er hat sie geschält wie eine Frucht.«
    »Mein Gott.« Mir fällt Javante Hopkins mit seinem Hang zu Blut und seiner Schublade voller Messer ein. »Aber über die Zähne kriegt ihr’s raus?«
    »Die Befunde aus Kansas sind unterwegs. Wir sind allerdings ziemlich sicher, dass sie passen.«
    »Warum?«
    »Die Größe stimmt, die Haarfarbe, die Hautfarbe. Und das Timing. Der Leichnam ist relativ bald nach der Waybridge-Entführung angespült worden.«
    »Angespült?«
    »Drüben in Algiers. Er hat

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