Tödliches Paradies
auf – wie hieß es noch – ja, ›Son Vent‹ … Dort unten waren Orangenplantagen. Dann die Hunde in dem Zwinger, die sie ab und zu bellen hörte. Es gab Terrassen mit Tomaten, Bohnen- und Paprikastauden, Wein- und Mandel-Haine. Für zwei Menschen zuviel Arbeit … Es mußte noch weitere Arbeiter oder Gärtner hier geben. Vielleicht auch Bewachungspersonal? Was wußte sie schon?
Und noch einen hatte sie kennengelernt. Ein Deutscher. Einer von der Sorte, von der keine Hilfe zu erwarten ist …
Vorhin, als Fischer sie voll Stolz auf die Herrlichkeiten seiner Welt aufmerksam gemacht hatte, war er aus dem Haus aufgetaucht; schlank, geschmeidig, dazu tadellos gekleidet: helle Hosen, blaue Yachtschuhe, ein elegantes Hemd, die Haltung betont gelassen. Was ihr zuwider war, ja, sie erschreckte, war das völlig abgemagerte Gesicht mit dem lippenlosen, wie mit einem Messer gezogenen Mund. An den knochigen Schädel war strähniges, dünnes Haar geklebt.
»Das ist Ulf, mein Herz. Ulf Matusch.«
Er hielt Post in der Hand, Briefe, die er Fischer auf der Terrasse hinstreckte, und der Blick der blaßgrauen Augen, der sie hinter dem Fenster dabei streifte, war so vollkommen leer und ausdruckslos, daß es sie fröstelte.
»Ulf ist eine Art Faktotum, mein Herz«, hatte ihr Fischer durch das Mikrofon zugeflüstert, als Matusch wieder gegangen war. »Äußerst tüchtig. Denn das kannst du mir glauben: Leute, auf die du dich verlassen kannst, brauchst du nirgends so wie hier.«
Die brauchte er vermutlich auch. Leute, die wortlos und ohne eine Frage einer ihnen wildfremden Frau in einem Park auflauern, mit einer Spritze betäuben, um sie zu ihm zu bringen.
»Ging nicht anders, wie die Dinge standen. Aber ich habe das Mittel so dosiert, daß du keine Nachwirkungen spürst. Oder spürst du irgendwelche, mein Herz?«
Sie ging hinüber zu dem kleinen Beistelltisch, auf dem Madalenas Frühstückstablett stand. Sie hatte gegessen, sie hatte sich dazu gezwungen, obwohl ihr Magen zunächst so rebellierte, daß sie fürchtete, sich übergeben zu müssen. Sie hatte kein Mitleid mit sich. Sie würde, mußte etwas zu sich nehmen. Sie brauchte Kraft: Kraft zum Denken und zum Handeln.
Sie nahm die Kanne und goß sich eine halbe Tasse voll. Nicht zuviel, halt den Kreislauf in Ordnung! Und bei jedem Schluck, bei jedem Bissen kannst du dich jetzt fragen, ob dieses Chemiker-Genie dir irgend etwas hineingebraut hat?
»Was ist der Mensch schon, mein Herz? Ein System, das auf Knopfdruck reagiert, das Zusammenspiel von ein paar Drüsen und ein bißchen Elektrizität. Das wissen wir doch schon aus unserer Arbeit.«
Und was ist er? dachte sie. Ein aufgeblasenes, arrogantes, gewissenloses Schwein!
Doch ihre hilflose Wut fiel zusammen wie ein Haufen welker Blätter, unter dem sich Verzweiflung und Tränen verbargen. Schon früher, in den wenigen Augenblicken, als sie sich erlaubte, über Fred Fischer nachzudenken, hatte sie ihn gehaßt und gefürchtet – und ihm widerstanden.
Nun aber, nun befand sie sich in seiner Hand …
Die Zeit mit ihm ließ sich nicht einfach auslöschen, wie sie es gehofft hatte. Nun war er gekommen, das Rad zurückzudrehen …
Als Melissa ihren Anstellungsvertrag mit der ›Fischer-Pharmazie‹ unterschrieb, arbeitete sie noch an ihrer Diplomarbeit. Mein Gott, was war sie stolz gewesen. Nicht einmal eine Bewerbung hatte sie schreiben müssen. Fischer hatte sie aus dem Hörsaal weg engagiert. ›Handverlesen‹, wie er das nannte. Sie weigerte sich lange zu akzeptieren, was der Chef darunter verstand. Sie übersah seine Blicke, sein Lächeln, die Hand auf ihrer Schulter, wenn sie sich über ihre Protokolle beugte. Damals arbeiteten sie an der Analyse von Enzym-Systemen, deren Ineinandergreifen für die Übertragung von Nervenimpulsen sorgte. Die ›Neuro-Transmitter‹ waren Fischers Spezialgebiet, ihre Wirkungsweise und Einfluß im Nervensystem faszinierten ihn. »Wer das mal erfaßt hat, kann nicht nur den Verlauf einer Krankheit wie der Computer die Maschine, er kann den ganzen Menschen steuern …« Manchmal hatte sie Fischer im Verdacht, daß er selbst das Teufelszeug, das ihn so faszinierte, nahm.
Bald schon bekam Melissa ihr eigenes Labor mit der eigenen Tür und dem Namensschild daran. Und bald erhielt sie von Fischer Rosen, Bücher, Einladungen …
»Wenn du deinen Job liebst, dann halte dir den Chef vom Leib.« Nach dieser Devise einer Freundin handelte auch sie. Doch er ließ nicht locker: »Ich will keine
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