Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliches Paradies

Tödliches Paradies

Titel: Tödliches Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Er blickte an ihr vorüber, über das Tal, hinüber zum Meer, auf dem ein weißes Schiff seine Bahn zog.
    Sie konnte ihn nicht ansehen. Das ewige Lächeln in dem gespannten, glatten Gesicht. Dieser schreckliche Stuhl. Die Hände, die er gefaltet hatte und die sich manchmal leicht zusammenzogen, wenn ihn etwas zu erregen schien. Katze und Maus! Vielleicht auch der Teufel … Und zu allem das Panorama hinter ihm: Wiesengründe, Hänge, über die sanft der Wind strich. Palmen umstanden das große Haus. Blumen wuchsen, wohin man blickte. Das blaue Dreieck eines riesigen Swimmingpools schimmerte durch die Blätter. Und über ihren Köpfen ragte ein großer, stumpfer, weißer Turm empor.
    Sie blickte an den Mauern hoch. Das Gut ›Son Vent‹, hatte Fischer ihr erzählt, sei einst der Mittelpunkt der ganzen Gegend gewesen; dem Besitzer habe unermeßlich viel Land gehört. Die Bauern hätten ihr Getreide und ihre Oliven zur Mühle gebracht. Son Vent – der Wind. »Ich habe zusammengekauft, was ich zusammenkaufen konnte. Ich wollte keine Nachbarn. Ich habe auch keinen Kontakt mit den Leuten hier. Selbst die Handwerker habe ich mir aus Deutschland einfliegen lassen. Ich habe mir eine Insel auf der Insel geschaffen …«
    »Ist irgend etwas, Melissa?«
    »Was soll denn sein?«
    Vor ihr stand, rötlich überhaucht von dem breiten Rund des Sonnenschirms, der Brunch: Weißbrot, Croissants, körnige Vollkornbrotschnitten, die Butter in einer Dose aus Silber und Glas, daneben ein Käseeck – »Käse aus Mahon, mein Herz, der beste Käse auf den ganzen Balearen« –, rotleuchtende Tomaten, das frische Rosa und Weiß der Radieschen und Schinken natürlich sowie verschiedene Wurstsorten – »die hier, Chorizo, solltest du unbedingt probieren, eine Paprikawurst, sie nehmen die Pimientos zur Konservierung. Schmeckt herrlich. Hast du keinen Appetit?«
    Oh, sie hatte! Und ihre Vernunft sagte bereitwillig, daß sie gar nichts zu befürchten brauchte. Nicht jetzt. Gewiß, es wäre für ihn eine Kleinigkeit gewesen, sein geliebtes Encephalin, das FK-33 oder irgendeines seiner Derivate, mit denen er herumspielte, in der Sahne aufzulösen, übers Brot zu streuen, über Wurst oder Obstsalat, und es würde seine Wirksamkeit nach ein paar Bissen entfalten. Doch er wollte sie froh stimmen, wollte weiß der Teufel was genießen, und sei es nur seinen Triumph. Auf jeden Fall gab er es vor. Aber wie genoß man mit einer Frau, die auf dem Trip war, selbst auf jenem, der ihre sinnliche Wahrnehmung zu steigern vermochte? Mit ihr ließe sich kaum unbefangen frühstücken. Das andere würde noch kommen. Sicher. Doch nicht jetzt, noch nicht …
    »Der ›Rosado‹ zum Beispiel, ein Traumwein, sag' ich dir! Wenn du ihn zu den Oliven dort nimmst – Madalena hat sie selbst eingelegt –, erlebst du eine Geschmackskombination, die wundervoll ist.«
    Seine feuchten roten Lippen bewegten sich. Und sie lächelte. Sie aß sogar eine Olive, spielte sein Spiel. Aber einfach war es nicht, gegen die Furcht zu handeln, zu lächeln, zu reden; diese Furcht, die wie ein Raum war, der sie gefangenhielt, ein dunkler, stickiger Raum, der ihr jeden klaren Gedanken aussperrte und nur von ihren Alpträumen bevölkert wurde.
    Sie ließ den ›Rosado‹ stehen, griff nach dem Kaffee.
    Sie spürte die Wirkung auf den Kreislauf: Ein leises, singendes Klopfen in ihrem Ohr. Nichts Besonderes. Nichts als ganz gewöhnliches Koffein. Und es tat gut. Jetzt konnte sie wirklich lächeln. Und wieder denken, ihn beobachten. Das bauschige, weite Bauernhemd war aus feinstem Leinen, die Ränder verziert mit weißen Stickereien. Sie sah die braune Haut der Brust, die schweren Trapezmuskeln des mächtigen Halses. Eine gewölbte Stirn. Das Gesicht ein braunes Oval. Darin die beiden Ovale der Brille. Die Haut leicht schimmernd, kaum eine Falte, sonderbar glatt und geschwungen, als wäre sie gepolstert, nein, als trage er eine Gummimaske – nur zwei horizontale Kerben in diesem Gesicht: eine Stirnfalte und die waagerechte Linie der braungrauen Augenbrauen.
    ›Kein Irrer, ein Monstrum!‹ dachte sie. Der Kopf eines Monsters vor einer Landschaft, die so schön war, wie man sie sich nicht ausdenken konnte. So schön und so von Frieden durchtränkt die rote Erde, die graue Terrassenmauern trug. Die Malvenbäume. Der Lavendel. Und darüber ein Himmel, über den die Wolken zum Meer hinzogen …
    Das sah ihm ähnlich.
    Nun betrachtete er seine ›Insel auf der Insel‹, schien vollkommen

Weitere Kostenlose Bücher