Tödliches Vermächtnis - Lethal Legacy
erfährt, dass wir nicht in der Lage sind, seine besten Stücke zu schützen, verlieren wir mit Sicherheit auch noch den Rest.«
Mike klappte das Buch vorsichtig auf. »Von wegen des Kaisers neue Kleider. Entweder haben diese Vögel den Verschlag verlassen oder jemand war schneller als wir.«
Er hielt uns das Buch hin. Es war deutlich zu erkennen, dass man daraus Seiten entfernt hatte. Zwischen den schönen Lederdeckeln waren nur unbeschriebene Pergamentseiten.
Mike stand mit dem schweren Buch in der Hand auf und blätterte in den verbliebenen Seiten. Als er beim rückwärtigen Buchdeckel ankam, fiel ein loses, zirka sechzig Zentimeter langes Fragment einer großen alten Landkarte auf den Boden.
Als Jill sich danach bücken wollte, rief Mike: »Nicht anfassen.«
Ich ging in die Hocke und betrachtete den detaillierten Kupferstich: eine Teilansicht Asiens und die Gestalt eines Mannes neben einer Weltkarte. Laut der Inschrift in der Kartusche über seinem Kopf handelte es sich um Amerigo Vespucci.
»Was hat der mit Vögeln zu tun?«, fragte Mike.
»Gar nichts.« Jill stützte sich mit einer Hand auf den Boden und drückte die andere an ihre Brust. »Was wir hier sehen, ist möglicherweise ein Teilstück der
wertvollsten Karte der Welt, angefertigt 1507 in einem kleinen Dorf in Frankreich.«
»Wertvoll genug, um dafür einen Mord zu begehen?«, fragte Mike und studierte die Karte genauer.
»Falls alle zwölf Teile dieses Puzzles tatsächlich existieren, dann gibt es nur noch eine vergleichbare Karte auf der Welt. Sie wäre an die zwanzig Millionen Dollar wert.«
»Das ist eine schwindelerregende Summe«, sagte ich. »Vielleicht hoch genug, um aus Tina Barr eine Diebin zu machen.«
»Warum hätte auch gerade sie nicht in Versuchung geraten sollen?«, sagte Jill Gibson. »Jeder zweite im Kuratorium würde seine Seele verkaufen, um in den Besitz dieser Karte zu kommen.«
19
»Falls Sie den Heiligen Gral der seltenen Landkarten suchen«, sagte die zierliche Bibliothekarin und betrachtete grinsend die Grafik, die Mike vor ihr auf den Tisch gelegt hatte, »dann werden Sie nichts Besseres finden.«
Bea Dutton leitete die Kartenabteilung der Bibliothek, die über eine Million Landkarten sowie über zwanzigtausend Atlanten und Bücher über Kartografie beherbergte. Jill hatte sie sofort im Anschluss an Mikes Fund angerufen und gebeten, früher ins Büro zu kommen. Knapp eine Stunde später war sie da.
»Wussten Sie, dass diese Karte vermisst war?«, fragte Mike.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Bea. Ihre weißen
Baumwollhandschuhe, die zu ihrer Berufskleidung gehörten, wirkten vornehmer als Mikes Latexhandschuhe. Sie war klein und zierlich und musste die Ellbogen auf den langen Tisch stützen, um die Karte ansehen zu können.
»Sie werden sich doch bestimmt genau daran erinnern, wenn eine so wertvolle Karte wie diese hier aus der Sammlung verschwindet.«
»Da liegen Sie falsch, Detective. Wir hatten noch nie eine solche Karte im Haus. Ich kann mir ja nicht einmal erklären, wie dieser Kartenteil hierherkommt. Seit ich meinen Beruf ausübe, warte ich darauf, dass noch eine von diesen Karten auf den Markt kommt. Das weltweit einzige uns bekannte Original befindet sich in der Library of Congress. Hat Jill Ihnen das nicht gesagt?«
»Das ist Ihr Zuständigkeitsbereich, Bea«, sagte Jill. »Ich habe es auf Ihrer Wunschliste gesehen, aber ich wusste wirklich nicht, ob wir vielleicht schon einzelne Teile der Karte besitzen.«
»Kommen Sie, ich erkläre Ihnen, was Sie da gefunden haben«, sagte Bea und forderte uns - Mercer, Mike und mich - auf, am Tisch Platz zu nehmen. Wir befanden uns im Erdgeschoss der Bibliothek, in einem eleganten Raum mit dunkler Holzvertäfelung, drei langen Tischen und goldgerahmten alten Landkarten an den Wänden. Nur das Stadtwappen von New York an den Tischstützen verriet, dass wir uns nicht in einem englischen Herrenhaus befanden. »Das heißt, wenn ich meinen Blick davon abwenden kann. Was Sie hier sehen, ist ein Fragment der Karte, die gemeinhin als Amerikas Geburtsurkunde bezeichnet wird.«
Mercer besah sich die alte Zeichnung näher. »Wie kommt das?«
»Dieses Stück gehört zu einer Weltkarte, auf der erstmals eine Landmasse in der westlichen Hemisphäre mit dem Namen ›America‹ bezeichnet war.«
Mike beugte sich vor und suchte die Inschrift.
»Nicht auf diesem Ausschnitt. Vergessen Sie nicht, die ganze Karte besteht aus zwölf Stücken, und jedes ist so groß wie dieses
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