Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
ihn unternehmen sollen?«
»Gut beobachtet«, lobte Chen.
Die Gasse machte erneut eine Biegung und mündete in eine mit bunten Steinen gepflasterte Promenade. Ein Schild wies den Weg zu einem weiteren Park.
»Ach, der Li-Park«, sagte Chen und deutete auf eine vielfarbige Tafel, die eine altertümliche Schönheit in einem Kahn zeigte. »Ist der Lihu nicht ein Nebenarm des Taihu?«
»Ja, aber wir hier betrachten ihn als eigenständigen See.«
»Dort sollen zur Zeit der Streitenden Reiche nach der Entscheidungsschlacht zwischen den Staaten Wu und Yue die Liebenden Fan Li und Xisi idyllische Tage auf einem Boot verbracht haben, und wenn sie nicht gestorben sind … So steht es zumindest in einer Broschüre aus dem Erholungsheim. Vermutlich nur eine Legende, um romantische Touristen anzulocken.«
Dieser kauzige Oberinspektor brachte es doch tatsächlich fertig, auf dem Weg zu einer Mordverdächtigen von Schönheiten zu plaudern, die vor über zweitausend Jahren gelebt hatten. Huang war zwar schon oft im Li-Park gewesen und kannte einige Gemälde und Gedichte, die Xisi zum Gegenstand hatten, doch es war ihm nie in den Sinn gekommen, nach dem Wahrheitsgehalt dieser Geschichte zu fragen.
»Dann sind wir ja gleich da. Das Haus der Lius liegt am anderen Ende des Parks.«
Und tatsächlich gelangten sie bald darauf zu einem Villenkomplex in bester Wohnlage. Hier reichten die Neubauten bis ans Seeufer heran, waren aber gleichzeitig vom Stadtzentrum aus gut erreichbar. Auch zur Chemiefabrik war es nicht weit, zumindest wenn man über einen Dienstwagen verfügte.
Ehepaar Lius dreistöckige Villa mit Doppelgarage lag in einer Sackgasse. Hinter dem Haus gab es einen großen Garten. In der Auffahrt stand ein Wagen; aber es war, wie Huang feststellte, keines der fabrikeigenen Fahrzeuge.
»Noch größer als die Villa im Erholungsheim«, kommentierte Chen, während sie die Treppe hinaufstiegen.
»Das Erholungsheim wurde Anfang der fünfziger Jahre gebaut«, erklärte Huang, der nicht wusste, worauf Chen hinauswollte. Sie klingelten.
Die Frau, die ihnen öffnete, war schlank und schätzungsweise Anfang fünfzig. Ihr Haar wurde von silbernen Strähnen durchzogen – sie sah für ihr Alter aber erstaunlich gut aus. Sie trug einen eleganten Hausmantel aus Seide und zierliche Pantöffelchen. Auf einer Wollmatte neben der Tür standen Hausschuhe für Besucher.
»Guten Tag, Frau Liu. Ich bin Polizeimeister Huang vom Präsidium in Wuxi«, sagte der junge Polizist und zeigte seinen Dienstausweis. »Das ist ein Kollege von mir.«
»Mein Name ist Chen«, stellte sich der Oberinspektor vor. »Sollen wir die Schuhe ausziehen, Frau Liu?«
»Als Polizisten müssen Sie das wohl nicht«, antwortete sie vage.
»Aber natürlich tun wir das«, sagte Chen und nestelte bereits an seinen Schnürsenkeln. »Bei einer so wunderschönen Villa.«
Die Dame des Hauses führte sie in ein riesiges Wohnzimmer, dessen großes Panoramafenster auf den gepflegten Rasen und die Blumenbeete des rückwärtigen Gartens hinausging. Im Hintergrund meinte Chen einen kleinen Teich zu erkennen. Frau Liu bot ihnen Platz auf einem beigefarbenen Sofa an und servierte Tee, bevor sie sich selbst in einem Ledersessel niederließ.
»Es waren doch schon Beamte da. Was wollen Sie denn noch von mir?«
»Zunächst möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen«, begann Chen. »Geschäftsführer Liu hat der Partei, dem Volk und dem Betrieb unschätzbare Dienste erwiesen. Ich versichere Ihnen, Frau Liu, dass wir unser Bestes tun werden, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Derzeit treten die Ermittlungen allerdings ein wenig auf der Stelle, weshalb wir Sie noch einmal um Ihre Kooperation bitten müssen. Alles, was Sie uns zu berichten haben, könnte hilfreich sein, über Ihren Mann, seine Arbeit oder die Menschen, die ihm nahestanden.«
»Er war sehr beschäftigt und hat geschuftet wie ein Pferd. Wenn er nach Hause kam, war er meist todmüde. Dann hatte er keine Energie mehr, um mit mir über die Belange der Firma zu reden oder über Leute aus der Belegschaft.«
»An dem fraglichen Abend, hat er da erwähnt, dass er sich mit jemandem in seinem Privatbüro treffen wollte?«
»Nein, das hat er nicht. Wie gesagt, er hat mir gegenüber kaum über die Arbeit gesprochen.«
»Ist Ihnen an jenem Abend etwas an ihm aufgefallen?«
»Er wirkte sehr müde, aber das war nichts Ungewöhnliches.«
»Eine andere Frage. Hat er in letzter Zeit schlecht geschlafen?«
»Wie
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