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Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Tödliches Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu. Xiaolong
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die Füße auf das Fenstersims. Ein Postmodernist hätte vielleicht gesagt, dass die wohlgeformten Arme des Stuhles ihn aufnahmen, dachte er und musste über sich selbst schmunzeln. Den meisten anderen würde es genügen, einfach nur bequem zu sitzen …
    Doch schon wurde er erneut gestört. Das Mobiltelefon schrillte wie der Wecker in seinem Traum. Er warf einen Blick auf das Display. Der Anrufer war Huang.
    »Auch Lius Rivale hat ein wasserdichtes Alibi.«
    »Wer?«
    »Zhang Tonghua, der Leiter eines anderen großen Chemiewerks hier in Wuxi. Er ist Lius schärfster Konkurrent.«
    »Ach, der Mann, den Sie im Visier hatten«, sagte Chen. »Er kann natürlich auch einen Auftragskiller engagiert haben.«
    Doch wie sollte der in das Apartment gelangt sein, ohne das Türschloss zu beschädigen.
    »Aber der Zeitpunkt, Chef«, beharrte Huang. »Wir dürfen den Zusammenhang zwischen dem Mord und dem Börsengang nicht außer Acht lassen. Da muss es eine Verbindung geben.«
    Diese Theorie stammte ursprünglich von Chen, doch Huang hatte sie sich inzwischen zu eigen gemacht und weitergesponnen. Immerhin eine Erklärung, wo es sonst keine gab.
    »Ich hab da noch was für Sie. Wegen Shanshan.«
    »Ja?«
    »Die Drohanrufe kamen aus einer öffentlichen Telefonzelle. Also wohl doch kein übler Scherz.«
    »Das hatte ich vermutet.«
    »Und es scheinen sich noch andere für ihre Telefongespräche zu interessieren«, fuhr Huang nach einer längeren Pause fort. »Ihr Telefon wird abgehört – vermutlich wegen ihrer Verbindung zu Jiang.«
    »Das ist ja interessant. Und wer hört sie ab?«
    »Die Innere Sicherheit. Die behaupten, dass Jiang und Shanshan sich gut kennen. Sie könnte an der Sache beteiligt sein.«
    »Und? Haben die was gefunden?«
    »Vermutlich nicht – noch nicht. Zumindest weiß ich nichts davon. Aber ich bleibe dran, Chef.«
    »Danke, dass Sie mich informiert haben, Huang«, beschloss Chen das Gespräch. »Rufen Sie an, sobald Sie etwas Neues wissen.«
    Anschließend versuchte er, die neuen Einzelheiten in das Puzzle einzufügen, was ihm wieder nicht gelang.
    Zur Ablenkung machte er sich an den Bericht über die Umweltprobleme, den er für Genosse Parteisekretär Zhao schreiben wollte. Chen war Polizist, und ein vielbeschäftigter dazu. Aber er war auch ein verantwortungsvoller Bürger, genau wie Shanshan, und als solcher würde er diesen Bericht schreiben, ganz gleich, ob der Inhalt seinen Vorgesetzten gefiel oder nicht.
    Er hatte kaum den ersten Absatz zu Papier gebracht, als er schon nicht mehr weiterwusste. Es war schwieriger, als er gedacht hatte. Dieser Mischmasch aus hochtrabenden, aber bedeutungsleeren Sätzen belegte rein gar nichts. Das war nicht sein Fachgebiet, und er konnte seine Argumente nicht mit Fakten untermauern. Allmählich bekam er Zweifel, ob er überhaupt in der Lage war, einen solchen Bericht zu schreiben.
    In seiner Not griff er wieder zur Zigarettenpackung, und augenblicklich wanderten seine Gedanken zurück zu dem Mordfall. Bestürzt musste er feststellen, dass er nur dann präzise formulieren konnte, wenn er als Polizist dachte.
    Seit wann war er ein Beamter, der nicht über den Tellerrand hinausblickte? Zugegeben, ein Fall nach dem anderen hatte ihn als Oberinspektor bis an die Grenzen belastet, aber dafür genoss er auch die Privilegien eines aufsteigenden Parteikaders – wenngleich er noch längst nicht oben angekommen war. Und dann war da noch die Verpflichtung gegenüber einem System, das es stets gut mit ihm gemeint hatte.
    Während er an Shanshan und ihren schwierigen Kampf um den See dachte, wandte er sich wieder seinem Laptop zu und fing an zu tippen:
     
    In einer Trance feuerroten Mohns
    oder ihn kühlenden Schatten unterm
    Moos, hast du die Nacht vergessen,
    die wir auf der Brücke verbrachten.
    Das Licht in der Ferne und
    die Sterne darüber zerrannen
    zu Musik auf deiner Netzhaut, während
    du mit der Zigarette eine Tondichtung
    des schlafenden Sees dirigiertest.
    Du warst nicht länger Teil von
    Zeit und Raum, noch deiner selbst.
    Wenn ein anderer weißer Wasservogel
    aus dem Kalender auffliegt, träumst
    du nicht mehr von blassen Austern,
    die sich an harte Steine klammern.
     
    Zu seiner Überraschung kamen die Zeilen mühelos. War er das Du der ersten Strophe? Nein, unmöglich. Er hielt sich doch erst seit ein paar Tagen hier am See auf, und doch war der Anklang eines Schuldgefühls unüberhörbar. Vielleicht musste man das eher symbolisch sehen.
    Wie auch immer, er

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