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Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Tödliches Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu. Xiaolong
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würde diese Zeilen zu einem Langgedicht ausbauen; es sollte nicht von ihm handeln, sondern von dem See und dem, was im heutigen China geschah, und von einem Beispiel unerschütterlichen Muts …
    Dann lenkte er seine Gedanken mit neuem Elan zu dem Mordfall zurück. Am Tatort musste es noch etwas anderes geben; was genau, konnte er nicht sagen. Er nahm sich das Verzeichnis der Gegenstände aus Lius Apartment vor, eine Liste, die er schon mehrmals durchgegangen war.
    Diesmal hielt er bei einem der Objekte inne: ein Schmuckkästchen aus Lack, das eine schwarze Perlenkette, goldene Ohrringe und ein Armband aus grüner Jade enthielt. Die Schmuckstücke waren nicht besonders wertvoll, aber warum befanden sie sich in Lius Büro und nicht zu Hause? Frau Liu hatte zu Protokoll gegeben, dass sie sich nie dort aufhielt. Wieso also das Schmuckkästchen? Es konnte allenfalls bestätigen, was Shanshan über Mi, Lius kleine Sekretärin, gesagt hatte. Doch das waren noch Indizien.
    Als nächstes betrachtete er die Aufnahmen vom Tatort. Er breitete sie auf dem Boden des Wohnzimmers aus, setzte sich selbst in die Mitte und sah sich ein Foto nach dem anderen genau an. Er hatte das vage Gefühl, dass hier etwas fehlte, konnte aber nicht sagen, was. Vielleicht war es ja etwas ganz Alltägliches, das in jedem normalen Leben vorhanden war, nur hier nicht.
    Plötzlich wurde ihm klar, dass er nicht länger im Hintergrund bleiben konnte. Zumindest musste er sich einen persönlichen Eindruck vom Tatort verschaffen und mit einigen Beteiligten reden. Damit würde er kein allzu großes Risiko eingehen. Dann würde es eben heißen, der Oberinspektor auf Urlaub habe seine Neugierde angesichts des Mordfalls nicht zügeln können.
    Solange er und Huang sich vorsichtig verhielten, konnte man seine Einmischung vielleicht sogar geheimhalten.
    Nach einer weiteren Portion Kräutermedizin, einem rätselhaften Anrufer, der behauptete, sich verwählt zu haben, und zwei weiteren Tassen lauwarmen Kaffees kam er zu dem Schluss, dass er den halben Tag in der Villa vertrödelt hatte. Genau wie diese ranghohen Kader, die sich hier mit Nichtstun von den Mühen ihrer Arbeit erholten und um elf Uhr vormittags noch immer im Schlafanzug herumliefen.
    Chen kam sich dumm und nutzlos vor.
    Schließlich raffte er sich auf, seine Verabredung mit Qiao einzuhalten. Er hatte dieser Essenseinladung nun mal zugestimmt, jetzt ließ sie sich nicht länger aufschieben.
     
    Das Restaurant lag im Hauptgebäude. Die Bedienungen trugen hochgeschlitzte Seiden-Qipaos und erinnerten an Hofdamen aus der Qing-Zeit. Inmitten dieses grüßenden, sich verbeugenden Hofstaats marschierte er eine Treppe mit rotem Teppich hinauf, der von glänzenden Messingknöpfen gehalten wurde.
    Qiao hatte nicht zu viel versprochen; das Bankett bot exquisite Köstlichkeiten aus dem See und fand in einem eleganten Séparee statt, wo sich die leitenden Angestellten des Erholungsheims versammelt hatten, um ihren Ehrengast zu verwöhnen und ihm zuzuprosten.
    »Was hier auf den Tisch kommt, ist sorgfältig ausgewählt«, betonte Qiao. »Es hat nichts mit dem zu tun, was sie als ›Seespezialitäten‹ draußen angeboten bekommen.«
    Offenbar wurden hier nur geprüfte, den Parteikadern vorbehaltene Nahrungsmittel verwendet. Chen hatte mal in einem Artikel gelesen, dass hohe Kader mit rückstandsfreien Lebensmitteln versorgt wurden – und zwar nicht nur jene, die hier am See Urlaub machten.
    Aber was war mit den normalen Seeanwohnern?
    Eine riesige Platte Hilso-Hering, bedeckt mit feinen Frühlingszwiebel- und Ingwerstreifen, wurde gebracht. Der Fisch war zusammen mit Räucherschinken in einer Hühnerbrühe gedämpft worden, die ein weißes, ihm unbekanntes Heilkraut enthielt.
    »Dieser Fisch stammt nicht von hier aus dem See«, erklärte ein leitender Angestellter namens Ouyang, offenbar der Älteste in der Runde und kurz vor der Pensionierung. »Wir nennen ihn einfach shi . Der Koch muss ihn zunächst säubern und schuppen, doch nachdem er ihn in den Bambusdämpfer gelegt hat, deckt er ihn wieder mit den größeren Schuppen zu, damit das Fleisch nicht austrocknet und zart bleibt.«
    Chen wusste, dass dieser shi extrem teuer war und auf dem Markt leicht seine fünf- bis sechshundert Yuan pro Pfund kostete. Außerdem war die Zubereitung äußerst zeitaufwendig.
    Chen ging nicht auf die Hinweise des Angestellten ein und gab sich ausnahmsweise einmal nicht als der kennerhafte Gourmet: »Gestern bin ich der kleinen

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