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Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Tödliches Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu. Xiaolong
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bereiterklärt, ihnen weiterzuhelfen.
    Wei wartete schon im Büro des Nachbarschaftskomitees auf sie. Diese Einrichtung war zwar nicht mehr das machtvolle Überwachungsorgan wie in den Jahren des »Klassenkampfes« unter Mao, sorgte aber weiterhin für Sicherheit in den Wohnquartieren. Wei konnte ihnen problemlos Einblick in das Melderegister verschaffen und sie über den Hintergrund einzelner Bewohner aufklären.
    Auf diese Weise erfuhren sie, dass Fu einer armen Familie dieses Arbeiterviertels entstammte. Drei Generationen Fus – sein Großvater, die Eltern, Fu und ein jüngerer Bruder – hatten sich in einem einzigen, fünfzehn Quadratmeter großen Zimmer eines Shikumen-Reihenhauses zusammengedrängt. Obgleich Fu jetzt in Wuxi arbeitete, besuchte er regelmäßig seine Familie. Bei solchen Gelegenheiten teilte er den ausgebauten Speicher mit seinem Bruder.
    »Moment mal«, unterbrach Yu. »Fu leitet mittlerweile ein großes staatliches Chemiewerk. Da müsste er sich doch eine eigene Wohnung für sich, wenn nicht gar für die Familie leisten können.«
    »Ist er jetzt tatsächlich Firmenleiter?«, fragte Wei, wartete die Antwort aber nicht ab. »Ich kann mir schon vorstellen, warum er das nicht tut. Diese Gegend hier ist nämlich Teil eines neuen Bebauungsplans. Bald werden die alten Häuser neuen Gebäuden weichen. In diesem Fall stehen der Familie Fu mindestens zwei Wohnungen als Entschädigung zu. Würde er sich selbst eine kaufen und ausziehen, hätte er seinen Anspruch verwirkt. Die Entschädigung des Wohnungsamts richtet sich nach der Anzahl der Familienmitglieder.«
    »Verstehe. Aber er arbeitet doch in Wuxi. Muss er regelmäßig nach Shanghai kommen, um ein Anrecht auf Entschädigung zu haben?«
    »Soviel ich weiß, hat er eine Freundin in Shanghai. Sie haben sich getroffen, wann immer er hier war, aber in letzter Zeit habe ich das Mädchen nicht mehr gesehen. Vielleicht haben sie sich verkracht, so was kommt vor bei jungen Leuten. Falls seine Familie mit zwei Wohnungen abgefunden wird, könnte er heiraten und eine davon übernehmen.«
    Eine Freundin in Shanghai – davon hatte Chen nichts gesagt, dachte Yu. Aber es konnte natürlich auch irrelevant sein.
    »Haben Sie je etwas Außergewöhnliches oder Verdächtiges an Fu bemerkt?«
    »Außergewöhnlich oder verdächtig? Nein, nicht, dass ich wüsste. Er hat an der Fudan studiert. Seine Eltern sind einfache, ungebildete Leute, es war also nicht leicht für ihn. Aber er hat sich angestrengt. Vor einigen Jahren wurde er dann Abgeordneter der Jugendliga und bald darauf Parteimitglied. Wenn er jetzt bereits einen großen Staatsbetrieb leitet, muss er wirklich hart gearbeitet haben.«
    »Wie lange sind Sie eigentlich schon hier?«, mischte Peiqin sich erstmals ein.
    »Drei, beinahe vier Jahre.«
    »Ich habe früher mal im Viertel gewohnt«, sagte sie leise, »aber das ist fast dreißig Jahre her.«
    »Ach, tatsächlich.«
    »Ich würde gern ein bisschen herumspazieren, Yu. Das Wetter ist so schön heute.«
    »Gute Idee«, stimmte Yu zu.
    »Schauen Sie ruhig später noch mal bei mir vorbei, wenn Sie Fragen haben«, sagte Wei lächelnd.
    Sie verabschiedeten sich von dem Nachbarschaftspolizisten und schlenderten davon.
    Wie Peiqin bereits vermutet hatte, waren viele ihrer alten Nachbarn weggezogen. Selbst nach mehreren Blocks war ihnen kein bekanntes Gesicht begegnet. Jetzt, um die Mittagszeit, hielten sich viele Bewohner im Freien auf; sie kochten auf Kohleöfchen, wuschen ihre Wäsche im gemeinschaftlichen Spülstein oder hatten sich zu einem frühen Mahl zusammengefunden. Kaum jemand schenkte den Vorbeigehenden Beachtung.
    Schließlich entdeckte Peiqin an einer Straßenecke einen improvisierten Verkaufstisch, an dem eine alte Frau Ingwer und Frühlingszwiebeln feilbot. Sie war früher ihre Nachbarin gewesen, und Peiqin hatte sie mit »Tante Hui« angeredet. Inzwischen musste sie weit über siebzig sein; weißhaarig und zahnlos saß sie gebeugt auf einem kleinen Schemel. Der Stand und das Angebot hatten sich jedoch nicht verändert; saftiges Zwiebelgrün und goldfarbene Ingwerknollen lagen auf demselben schmalen Brett ausgebreitet. Der einzige Unterschied zu früher war der Preis: Ein Bund Lauchzwiebeln hatte damals fünf Fen gekostet, jetzt kostete es fünfzig.
    »Damals war ich ein kleiner Hänfling, Tante Hui. Einmal haben Sie mir einen Bund Zwiebeln verkauft und dazu ein Stück Ingwer geschenkt. Meine Mutter hat mich noch Tage später gelobt, was für ein

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